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Archiv-Artikel

Gegen die Wand gefahren

Die Heiapopeia-Jugend probt die Selbstkritik: Florian Illies schreibt eine Fortsetzung seines Bestsellers „Generation Golf“ und entdeckt angesichts der Rezession, etwas verspätet, das melancholische Bewusstsein. Ein Trendsetter will er nie gewesen sein

Das Bild einer Generation, die sich gerade kollektiv die Wunden lecktDas nivellierende Denken demontiert sich selbst – weiß das aber noch nicht

von DIRK KNIPPHALS

Okay, „Generation Gebrauchtwagen“ hätte wohl wirklich dämlich geklungen – obwohl so ein Titel vom Inhaltlichen her ziemlich genau gepasst hätte. Während Florian Illies in dem Vorgängerbuch „Generation Golf“ – das man nach dem Vorbild vieler Kinofilme von nun an „Generation Golf eins“ wird heißen müssen – eine Art zeitgenössisches Heldenepos verfasst hat („Hoppla, jetzt kommen wir“), hat er sich nun zeitbedingt einem anderen Genre zugewandt: der Losergeschichte. Die Carolins, Justins und Marcos, die Illies jetzt zur Illustrierung seiner Thesen heranzieht, haben ihr Geld an der Börse verloren und sind arbeitslos. Rezession, Baby. Einen nagelneuen Golf kann sich hier niemand mehr leisten.

Dieses Szenario ist freilich nicht mehr ganz neu. Allerdings hatte Florian Illies wohl diesbezüglich wirklich einigen Update-Bedarf und vielleicht auch rein persönlich nach einem hohen Berg (Chef der Berliner Seiten der FAZ) ein zu tiefes Tal (FAZ-Krise inklusive Abwicklung der Berliner Seiten) durchlebt; er musste reagieren. Rein erzähltechnisch betrachtet, darf man das Setting jedenfalls als Fortschritt betrachten; erst mit Helden, die Niederlagen zu verarbeiten haben, fängt bekanntlich die erzählerische Moderne an.

Letzteres mag wie ein Gedanke erscheinen, der wie alles Avancierte sowieso nicht in eine Illies-Besprechung gehört, spielt aber ehrlich gesagt tatsächlich in die Motivation zumindest meiner „Generation Golf zwei“-Lektüre hinein. Dass es in der Fortsetzung um Desillusionierung gehen würde, war ja abzusehen. Herauszukriegen, inwieweit ein junger Konservativer wie Illies noch auf das Versprechen des bürgerlichen Bildungsromans setzen kann, dass diese Desillusionierung mit Gewinnen an Selbsterkenntnis einhergeht, das war das Interessante. Dass er auf die Rezession mit einem konsumkritischen: „Ätsch, ich will sowieso nicht alles haben“ reagieren kann, wie das derzeit etwa inzwischen sogar „Tagesthemen“-kompatibel mit der Band Wir sind Helden vorgeführt wird, das war sowieso nicht zu erwarten. Aber würde er das Ganze zumindest als Reifungsprogramm deuten können?

Um es kurz zu machen: Er kann es nicht. Eher wertet er die Wirtschaftskrise als Schicksal oder höchstens als von „den 68ern“ verschuldetes Phänomen. Oder vielmehr: So genau weiß man das alles auch nach der Lektüre immer noch nicht. Wahrscheinlich ist jemand mit einem geradlinigen Werdegang wie Florian Illies, dem erst das Zerplatzen der New-Economy-Blase den ersten Bruch in der Biografie beschert, zum einen schlicht nicht darauf vorbereitet, Niederlagen Sinn abpressen zu müssen. Zum anderen hat man während des Lesens vermehrt Mühe, sich eines bestimmten Verdachts zu erwehren: dass Florian Illies nämlich von den üblichen Vorgehensweisen bei Sequels, wie man sie aus dem Kino kennt – Überbietung des ersten Teils, billiger Aufguss desselben, Selbstironisierung –, eine Mischung aus Zweitem und Letzterem angestrebt hat.

Zu berichten jedenfalls ist von einer eher flockigen Lektüreerfahrung. Man beginnt mit dem Lesen, registriert die hingestreuten Signalwörter (Quaterlife Crisis, Wirtschaftskrise, 68er), dreht an manchen Stellen beim Lesen kurz emotional auf („Doch plötzlich beginnen wir zu ahnen, dass wir das Beste vielleicht schon hinter uns haben“), unterdrückt an anderen Stellen Überblätterungsgelüste (Nutella, Handy-Thema) und, huch, ist bald schon durch mit dem Buch. Es hätte auch 100 Seiten länger sein können. Oder 80 Seiten kürzer. Was die Stringenz des Aufbaus betrifft, ist das nie ein sonderlich gutes Zeichen.

Man hat also gelegentlich das Gefühl, man muss diese Ausführungen ernster nehmen als sie sich selbst, um überhaupt etwas aus ihnen herauskriegen zu können. Tut man das, zeichnet sich in Umrissen eine Doppelstrategie ab. Zum einen entdeckt Florian Illies das melancholische Bewusstsein. Zum Thema Arbeitslosigkeit heißt es einmal: „Wir dachten, das habe nichts mit uns zu tun.“ Tja, wenn du denkst, du denkst! So fangen rührselige Momente an. Skizzenhaft wird das Bild einer Generation gezeichnet, die sich gerade kollektiv die Wunden leckt. Manche Stellen schwingen sich gar zu zerknirschter Selbstkritik auf: „Erst heute wird uns klar, dass wir uns damals alle irrtümlich für Wirtschaftsweise und Durchblicker hielten und den dicken Max markierten.“ Das ist dann der Moment, in dem man sich – zumindest wenn man sich wie unsereiner selbst nicht getroffen fühlt – den Erzähler beim regressiven Nutella-Naschen vorstellt. Auf dieser Ebene bleibt Florian Illies der Propagandist eines aktuellen Wir, das eben nur hat erkennen müssen, dass seine 1999er-Version aus „Generation Golf eins“ illusionär war und nun umständehalber gegen die Wand gefahren ist.

Zum anderen gibt es aber auch eine Spur, auf der sich Florian Illies überhaupt von der Generation Golf distanziert, an einer Stelle ist sogar ausdrücklich vom „Gejammere der Generation Golf“ die Rede, an einer anderen distanziert er sich nicht eindeutig von Joschka Fischers Verdikt der „Heiapopeia-Jugend“. Das sind dann die Punkte, an denen man schon denkt: Wie denn nun, Herr Illies? Wollen Sie etwa gar nicht mehr dazugehören? Kann es sein, dass im Grunde eigentlich gar niemand mehr zur Generation Golf dazugehören will? Wäre natürlich interessant gewesen, diese angedeuteten Absetzungsbewegungen erläutert zu bekommen. Aber diese Spur bleibt seltsam unausgeführt, wahrscheinlich wäre sie auf eine zu eindeutige Selbstdemontage des kollektivistischen Ansatzes hinausgelaufen.

Aber darauf läuft das Buch dann sowieso hinaus. Was Illies überhaupt nicht in den Blick kommt, das sind Ausdifferenzierungen, seien sie sozialer, seien sie bewusstseinsstruktureller Art. An einer Stelle, immerhin, skizziert Illies eine kleine Typenlehre von damaligen Aktienkäufern, aber auch sie reduziert er gleich darauf wieder auf einen einzigen Punkt: dass alle damals eben Aktien gekauft haben. Selbst wenn man das zugibt – was man nicht muss, es gibt durchaus auch Menschen, die keine Kauforders abgegeben haben –, kommt es doch immer noch darauf an, mit welcher Haltung man das tat. Wer damals dachte, bald den ganz großen Reibach einzufahren, wird im Verlustfall andere Erfahrungen mit seinen eigenen psychologischen Mechanismen machen als jemand, der die Sache einfach mal ausprobieren wollte.

Auch für die nun zu Aktienverlierern und arbeitslos gewordenen Menschen wäre so eine – dann allerdings konsequent durchgeführte – Typenlehre gut gewesen. Denn es gibt ihn ja tatsächlich, den Typus des beleidigten jungen Konservativen, der nun nicht kriegt, was man ihm im Studium versprochen hat, und den Florian Illies hier beschreibt. Nach der für ihn verlorenen Bundestagswahl kokettierte er kurz mit dem Gedanken, auf die Barrikaden zu gehen, und hat sich nun möglicherweise wirklich in den Schmollwinkel zurückgezogen.

Aber man muss doch mit Blindheit geschlagen sein, wenn man nicht auch andere Reaktionen auf die Wirtschaftskrise ausmacht. Es gibt die vielen Spielarten derjenigen, die von Anfang an sowieso eher auf Patchworkbiografien gesetzt haben (oder setzen mussten) und sich nun eine Art bohemistischen Überbau zurechtbasteln können. Und auf eher wertorientierter Seite findet sich etwa Illies’ Generationsgenosse Christoph Amend. Er hat der Krise wenigstens den Vorteil abgewinnen können, dass er nun immerhin eine ernsthafte Biografie habe; in dem Buch „Morgen tanzt die ganze Welt“ vergleicht er sein Schicksal mit den Kriegserfahrungen der Großelterngeneration, schließlich habe die sich auch zuerst als Sieger der Geschichte gefühlt und sich dann als Verlierer sehen müssen. Das muss man waghalsig nennen, ist auf jeden Fall aber eine andere Reaktion, als Illies sie hier für seine Generation kollektiv vorgibt. Und die Fraktion, die die Geilheit des Geizes entdeckt hat, ist noch einmal etwas anderes.

„Generation Golf zwei“ mag als Revision des Vorgängerbuches angelegt sein, einer Einsicht weicht auch der zweite Teil systematisch aus: dass das Wir, das Florian Illies propagiert hat, längst zerfallen ist – wenn es denn jemals funktionierte! – und inzwischen wieder auf tausend Selbstverständigungs-Plateaus tanzt. Und dass Florian Illies selbst ihm gedanklich hinterherhinkt (in einer aufschlussreichen Passage – der einzigen, in der er „ich“ sagt – zeichnet er sich selbst übrigens als jemand, der dem Zeitgeist immer hinterhergelaufen ist; noch nicht einmal Trendsetter will er nun gewesen sein, so leicht kommt er aber nicht davon!).

Mit Reifungsprogrammen ist hier nicht viel. Immerhin kann man beim Lesen dieses Buches aber die, von seinem Autor allerdings nicht vorgesehene, Erfahrung machen, dass das nivellierende Denken rund um die Generation Golf endgültig an ein Ende gelangt ist. Mit der von David Brooks in seinem fast schon wieder vergessenen Buch „Die Bobos“ aufgestellten These, dass Künstler und Banker heutzutage nicht mehr zu unterscheiden sind, fing es an: selbe Kleidung, selber Musikgeschmack. Schon das war fragwürdig, hatte im Zuge des Mitte-Hypes in Berlin aber eine gewisse Evidenz, saßen hier in den einschlägigen Cafés doch eine Zeitlang BWL- und Kunststudenten beim Latte Macchiato einträchtig nebeneinander. Aber spätestens in der Wirtschaftskrise trennen sie sich wieder, die einen werden depressiv, die anderen reaktivieren Einsichten, dass Konsum nicht alles ist. Und Florian Illies kriegt seine Welt nicht mehr zusammen.

Zu behaupten, dass sich dafür die Rezession doch gelohnt hat, ist natürlich nur ein Scherz. Aber machen kann man ihn immerhin ja mal.

Florian Illies: „Generation Golf zwei“.Blessing, München 2003. 252 Seiten,16,90 €