piwik no script img

Archiv-Artikel

Schwarze Nacht über roter Stadt

Seit einem Jahr wird Schleswig-Holsteins Hauptstadt Kiel von einer Koalition aus CDU und Grünen regiert. Ein Modell für das Land nach der Wahl im Februar aber ist das nicht. Nur tiefer Frust über eine zerstrittene SPD sowie persönliche schwarz-grüne Sympathien ermöglichten das Kieler Bündnis

kiel lno ■ Im rot-grünen Schleswig-Holstein feiert ein bemerkenswertes schwarz-grünes Bündnis ersten Geburtstag: Am 5. Juni 2003 besiegelten CDU und Grüne in Kiel ihre kommunale Koalition. Sie soll bis 2008 halten und läuft fast geräuschlos. Dahinter steckt außer Pragmatismus eine Sondersituation in der einstigen „roten“ Arbeiterhochburg an der Förde. Tiefer Frust über eine in sich und mit ihrem letzten Oberbürgermeister Norbert Gansel (1997-2003) zerstrittene SPD sowie persönliche Sympathien zwischen Grünen und Schwarzen machten das Bündnis in der Landeshauptstadt möglich und stabil.

„Die Kieler CDU ist absolut untypisch“, sagt Grünen-Umweltminister Klaus Müller (33). „Auch Oberbürgermeisterin Angelika Volquartz ist eine absolut untypische Schwarze.“ Mit der 57-Jährigen ist er per Du. Kiels CDU gilt als liberale Großstadtpartei, die Landesunion unter dem Agrarexperten Peter Harry Carstensen als konservativ. Im Land ist Schwarz-Grün derzeit nicht nur wegen tiefer Gegensätze in Umwelt-, Verkehrs-, Industrie- und Wirtschaftspolitik undenkbar, sondern auch wegen der Akteure. Bei der Landtagswahl Ende Februar nächsten Jahres steht deshalb eine klare Konfrontation zwischen Rot-Grün und Schwarz-Gelb an. In Kiel kam es zum „Undenkbaren“ nach der Kommunalwahl am 2. März 2003: Die SPD stürzte auf 32,7 Prozent ab, die CDU triumphierte mit 44,7 Prozent, die Grünen schafften 14,1 Prozent. Dann gewann Volquartz die OB-Direktwahl. „Die Chemie stimmt nach wie vor“, sagt sie zum ersten Geburtstag von Schwarz-Grün: „Das unheimlich gute menschliche Miteinander ist Grundvoraussetzung für schwierige Entscheidungen.“

Eine „Giftliste“ wird vorbereitet: Freiwillige Ausgaben sollen drastisch gekürzt, Zuschüsse für Schwimmhallen und Stadtbücherei binnen drei Jahren um 30 Prozent gesenkt werden. Auch die Grünen sind zum Sparen entschlossen, eine herausragende Leistungsbilanz gibt es wegen der leeren Kassen aber nicht. Verwaltungsreform angestoßen, Wirtschaftsförderung umgebaut, Museumshafen eingerichtet, „Grünen Pfeil“ an Ampelkreuzungen eingeführt, Mehrheit an den Stadtwerken verkauft, dem Klimaschutzbündnis beigetreten – das listen CDU und Grüne auf. „Es läuft besser, als alle gedacht haben“, resümiert der grüne Kreisvorsitzende Markus Stiegler.

Dass manches nicht ganz wie gewollt umgesetzt werde, liegt für den grünen Fraktionschef auch an stillem Widerstand: „Der SPD-Filz ist weiter deutlich spürbar“, meint Oschmann, der im Landtag als Referent von Fraktionschef Karl-Martin Hentschel ein „Rot-Grüner“ ist. „Schwarz-Grün hat ein Jahr lang überhaupt nichts gemacht“, kritisiert hingegen SPD-Ratsfraktionschefin Cathy Kietzer. Die Grünen sieht sie nur noch als CDU-Anhängsel. Einzige Ausnahme sei der geplante Flughafen-Ausbau. „Ansonsten ist der Alltag schwarz wie die Nacht.“

Als Nagelprobe für Schwarz-Grün in Kiel gilt der Flughafen Holtenau. Im August wird entschieden, ob der Ausbau vorangetrieben wird. CDU und Landes-SPD sind dafür, die grünen Bündnispartner in Stadt und Land sind dagegen. Noch ist unklar, wer sich durchsetzen wird.

wolfgang schmidt