: Pflege am Fließband, Kitas im Chaos
Arbeiter-Samariter-Bund sieht die ambulante Pflege und die Kinderbetreuung am Anschlag angekommen. Ältere Menschen und Kinder werden nach Spareinschnitten oft nur noch verwahrt und nicht mehr wirklich betreut
Von Marco Carini
Zu Beginn gab es liebliche Blumen, danach herbe Töne. Auf der Jahrespressekonferenz des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB) wurde dessen Geschäftsführer Knut Fleckenstein zuerst mit einem bunten Gesteck für sein 10-jähriges Dienstjubiläum geehrt, dann setzte der Hamburger SPD-Landesvorsitzende in spe zum verbalen Rundumschlag gegen die Folgen der Berliner Gesundheitsreform und das Hamburger Kita-Chaos an.
Die einzig gute Nachricht, die der Geschäftsführer des gemeinnützigen Verbandes zu verkünden hatte, lautet: Der Hamburger ASB hat 2003 bei einem auf 24 Millionen Euro leicht gesteigerten Umsatz ein ausgeglichenes Ergebnis erzielt. Der Preis für die schwarze Null aber ist hoch. Beispiel ambulante Pflege, wo der Verband mit 17 Sozialstationen am Start ist: Hier habe die Arbeitsverdichtung der Mitarbeiter einen Stand erreicht, „der nicht mehr zu verantworten“ ist.
Pflege am Fließband lasse den geschulten Kräften keine Zeit mehr für menschliche Kontakte, derer die Betroffenen dringend bedürften. „Auf die Frage eines alten Menschen, ob der Pfleger noch Zeit für eine Tasse Kaffee habe, lautet die Antwort in neun von zehn Fällen nein“, weiß Fleckenstein zu berichten.
„Dringenden Nachbesserungsbedarf“ sieht Fleckenstein deshalb bei der Gesundheitsreform. Die zahlreichen Zuzahlungen, die viele der ASB-Patienten vor allem am Jahresanfang leisten müssten, würden dazu führen, dass diese auf notwendige Medikamente verzichten würden, weil in ihrem Portemonaie Ebbe herrscht. Zumindest Sozialhilfeempfänger müssten von der Kostenerstattung generell befreit werden, appelliert Fleckenstein an die Berliner Gesundheitsreformer.
Ein anderes Beispiel: Eine blinde Patientin, die ihre Lider nicht schließen kann, könne es vielleicht noch hinnehmen, dass sie Augentropfen zur Befeuchtung ihrer Augäpfel inzwischen aus der eigenen Tasche bezahlen muss. Doch da dass Medikament nicht mehr verschreibungspflichtig sei, würden die Pflegekräfte das Einträufeln der Tropfen nicht mehr mit den Kassen abrechnen können. Fleckenstein: „Das ist nicht hinnehmbar.“
Nicht besser sieht die Lage in den 13 Kindertageseinrichtungen der Samariter aus. Zwar sei die Zahl der zu betreuenden Kinder im vergangenen Jahr um acht Prozent angewachsen, die von der Behörde bewilligten Betreuungsstunden jedoch gleichzeitig um zehn Prozent gesunken. 15 Erzieher hat der ASB deshalb allein im vergangenen Jahr auf die Straße setzen müssen, weiteren Mitarbeitern wurden die Stunden reduziert. „Wir haben in allen Einrichtungen zusammen noch genau fünf Pädagogen, die Vollzeit arbeiten“, hat Fleckenstein errechnet.
Weitere Konsequenz des Gutscheinsystems: Weil immer mehr Kinder nur noch Vier-Stunden-Plätze erhalten, können sie nicht mehr am Mittagessen in den Einrichtungen teilnehmen – gerade in sozialen Brennpunkten fänden sie daheim aber „oft keine warme Mahlzeit vor“.
„Im Wettlauf um die Gutscheine“ habe der ASB sich darauf einlassen müssen, in der zweiten Jahreshälfte die Krippenkinder 30 Prozent unter Normalsatz zu betreuen, räumt der ASB-Landesvorsitzende Jan Klarmann zähneknirschend ein. Dies sei von der Sozialbehörde „ein unsittliches Angebot“ gewesen, „dem wir aus Wettbewerbsgründen zustimmen mussten“.
Eine Verstetigung der höheren Gruppengrößen, zu dem die Dumpingpreis-Betreuung führe, können sich Klarmann und Fleckenstein über 2004 hinaus nicht vorstellen. Klarmann: „Wir müssen die Betreuungsqualität zwangsläufig absenken. Die Bildungsnachteile vieler Kinder können wir so nicht mehr abbauen, sondern nur noch an die Schule weiterreichen.“
Die Kita als reine Verwahranstalten will auch Fleckenstein mittelfristig nicht akzeptieren. „Wenn die neuen Standards auch 2005 gelten sollen, wird es Massenproteste in Hamburg geben“, prophezeit der ASB-Geschäftsführer. Als zukünftiger SPD-Landesvorsitzender könnte er mit dafür sorgen, dass diese Prognose keine leere Drohung bleibt.