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Archiv-Artikel

Mehr Sex and Crime

Der Hessische Rundfunk galt mal als „rot“ – das war einmal. Statt Politik gibt’s Boulevard, im Fernsehen schon länger, und der Hörfunk folgt nach

AUS FRANKFURT KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT

5.401 Unterschriften sind nicht gerade wenig. So viele hatte die Initiative „Rette dein Radio!“ bis vorgestern via Internet gesammelt, um die befürchtete Einstellung von „Der Tag“ zu verhindern. „Der Tag“ ist eine einstündige aktuelle Radiosendung, die im Hörfunkprogramm hr 1 des Hessischen Rundfunks (HR) läuft. Sie gilt als journalistisches Vorzeigeformat – und soll jetzt wohl doch weiterleben, allerdings nicht auf hr 1, sondern im Kulturprogramm hr 2. Jedenfalls wird das derzeit vom HR-Intendanten Helmut Reitze und vom Hörfunkdirektor Heinz-Dieter Sommer geprüft: Die „intensive Auswertung“ der Hörerreaktionen habe gezeigt, dass eine große Zahl von Hörern an „Der Tag“ „in der kompakten einstündigen Form interessiert“ sei, so Sommer in einer Mitteilung des Senders. Heute wird der Hörfunkausschuss des HR auf seiner Sitzung über die Ergebnisse der Prüfung informiert.

Verflachungstendenz

Wie auch immer das ausgeht, „Rette dein Radio!“ sieht auch in der „Abschiebung“ zu hr 2 einen „faulen Kompromiss“ und hr 2 sei ein „ohnehin überlastetes Asylprogramm für alle kulturell und politisch interessanten Sendungen und Formate“. So heißt es in einer Erklärung der Initiative im Internet (www.rettedeinradio.de). Außerdem ist die Abschaffung der Musiksendung „Schwarzweiß“, gegen die „Rette dein Radio!“ sich auch wendet, noch immer nicht vom Tisch. Die Sorgen sind groß, denn es geht um die Verflachung des öffentlich-rechtlichen Senders – wie man sie im Hessen Fernsehen, wo schon letztes Jahr die Umstrukturierungen griffen, besichtigen kann.

Dort wird etwa im Verbund mit Bild die „Miss Hessensport“ gesucht und im sonntäglichen „Sportkalender“ – früher einmal eine Pflichtsendung für alle Anhänger hessischer Leibesübungen – marktschreierisch präsentiert. Am Dienstag um 20.15 Uhr läuft jetzt „Crime! Der Justizreport“, ein reißerisches Wochenmagazin über „Verbrechen und Verbrecher in Hessen“ im Stil von RTL 2. Außerdem wurde „Lachen mit Lars“ am Sender etabliert. Da berichtet etwa eine „Satirikerin“ mit sächsischem Akzent von ihren Problemen mit dem Stringtanga. Ganz auf Boulevard getrimmt wurde auch die früher sehr politische Hessenschau, das tägliche Landesmagazin (19.30 Uhr). Da hilft die Redaktion jetzt von Behörden gebeutelten Bürgern, führt aber im Grunde nur arme Würstchen vor.

Die Frage, was das alles noch mit Journalismus zu tun hat, stellt man beim Sender besser nicht. Wer es dennoch wagt, findet sich auf dem Abstellgleis wieder; vor allem in der politischen Abteilung des HR, die einmal als „Rotfunk“ firmierte. Eine Sendung mit politischen Ecken und Kanten wie „Dienstag! Das starke Stück der Woche!“ flog 2003 ganz aus dem Programm. Auf der Abschussliste beim Sender stand sie schon seit 2000, als eine Satire von der Intendanz auf Druck der hessischen Union aus dem Programm genommen und der Autor Eduard Erne entlassen worden war. Zur „Wahl zum Arsch des Jahres“ standen auf dem Höhepunkt der Spendenaffäre der hessischen CDU – ein BSE-Rind, ein Kampfhund und der hessische Ministerpräsident Roland Koch.

Seinen bisher größten Skandal hatte der HR aber in diesem Jahr. Der Sportchef Jürgen Emig musste zurücktreten, weil für die Berichterstattung der Sportredaktion des HR über Provinzvereine Geld geflossen sein soll. Die Staatsanwaltschaft ermittelt mittlerweile gegen Emig.

Der HR im Niedergang. Insider sagen, dass der mit dem Wahlsieg von CDU und FDP 1999 begann und sich im April 2003 mit der Übernahme der Intendanz durch Helmut Reitze, den Wunschkandidaten von Koch, fortgesetzt habe. Rund 50 Jahre lang musste die hessische Union den „Rotfunk“ ertragen. Jetzt haben sich Koch und der vom ZDF nach Frankfurt gekommene Reitze gefunden. Natürlich darf man in diesem Zusammenhang die Gebührendiskussion nicht vergessen. Der Spardruck der Politik auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist groß.

Man darf sich also Sorgen über die schleichende Verblödung des HR machen, jetzt eben auch beim Radio.