: Attentat auf Hrant Dink: Die Mörder sind noch frei
Zwei Jahre nach der Ermordung des armenischen Journalisten in Istanbul sind die Hintermänner weiterhin unbekannt
ISTANBUL taz ■ Auch am zweiten Jahrestag des Mordes an dem armenischen Journalisten Hrant Dink ist sein Vermächtnis nicht vergessen. Tausende Menschen versammelten sich gestern vor dem Redaktionsgebäude der armenisch-türkischen Wochenzeitung Agos, deren Chefredakteur Dink war, um an den Mord zu erinnern und Aufklärung über die Hintermänner des Attentats zu fordern. Denn auch zwei Jahre nachdem Hrant Dink direkt vor dem Haus der Zeitung von einem damals erst 17 Jahre alten Nationalisten mit zwei Kopfschüssen ermordet wurde, ist nicht aufgeklärt, wer den Jungen angestiftet hat und warum die Polizei, die durch einen Spitzel von dem Attentatsplan unterrichtet war, den Mord nicht verhindert hat.
Die Anwälte der Familie, die in dem Prozess als Nebenkläger auftritt, vermuten, dass die Drahtzieher des Mordes im Umfeld der Ergenekon-Terrorgruppe zu suchen sind, die durch Anschläge und gezielte Morde einen Putsch herbeiführen wollte. Bislang sind alle Versuche gescheitert, hohe Polizeibeamte vor Gericht zu bringen.
Fetiye Cetin, eine Anwältin der Familie, die Hrant Dink gut kannte und mit seiner Arbeit sehr vertraut war, sagte gegenüber Hürriyet: „Hrant wusste, dass er bedroht wurde, und war deshalb sehr beunruhigt.“ Ihrer Meinung nach war der Mord von langer Hand vorbereitet und wurde aus dem Hintergrund kontrolliert. „Der jugendliche Killer wusste kaum, wer Hrant Dink war und konnte auch keine Erklärung dafür abgeben, warum er ihn ermordet hat.“ Doch an die mutmaßlichen Hintermänner kommen die Anwälte bislang nicht heran. Erst vor wenigen Tagen wurde entschieden, dass der Kommandant der Gendarmerie in Trabzon aussagen muss, warum er die Hinweise auf die Attentatspläne ignoriert hat. Ein Ende des Prozesses scheint nicht in Sicht. Vertreter der Familie gehen davon aus, dass er noch Jahre dauern kann.
Viele ehemalige Freunde und Mitarbeiter von Hrant Dink konzentrieren sich deshalb jetzt eher darauf, am politische Vermächtnis des Getöteten weiter zu arbeiten. Eine kürzlich gegründete Hrant-Dink-Stiftung hat sich vor allem zum Ziel gesetzt, den zivilgesellschaftlichen Dialog zwischen Türken und Armeniern zu fördern und zu unterstützen. Mit Spendengeldern will die Stiftung einen Austausch junger Journalisten zwischen beiden Ländern ermöglichen, um so überhaupt einmal zum gegenseitigen Kennenlernen beizutragen. Dazu sollen auch Veranstaltungen in der Türkei und in Armenien dienen.
Nach dem ersten offiziellen Besuch des türkischen Präsidenten Abdullah Gül in Jerewan im September letzten Jahres gibt es realistische Hoffnungen, dass die beiden Nachbarländer endlich diplomatische Beziehungen aufnehmen werden und die seit Anfang der 90er-Jahre geschlossene Grenze zwischen der Türkei und Armenien geöffnet wird. Hrant Dink wäre darüber sicher sehr glücklich gewesen.
JÜRGEN GOTTSCHLICH