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Archiv-Artikel

ROBIN ALEXANDER über SCHICKSAL Das Prinzip Jägermeister

Jägermeister – das ist Hustensaft, Hirschgeweih und Eintracht Braunschweig. Dachte ich. Bis ich nach New York reiste

Jägermeister ist eigentlich nur ein Getränk. Ein Schnaps. Genauer: ein schlechter Schnaps. Ganz genau: der schlechteste Schnaps von allen.

Er schmeckt wie zu lange gelagerter Hustensaft. Selbst in meiner Kindheit im Ruhrgebiet, wo die Leute nicht auf Brunello und Nobile gebettet waren, war Jägermeister nun wirklich das Letzte. Der war sogar Schluckern, die jeden Morgen ihre Ration von der Trinkhalle holten, zu proll.

Als in den Kleinstadthedonistenkreisen, in denen meine Eltern verkehrten, italienischer Ramazotti in Mode kam, unkte einmal jemand: „Das ist Jägermeister mit menschlichem Antlitz.“

Als Kompliment war das nicht gemeint.

Wenigstens hatte Jägermeister das passende Erscheinungsbild zum Produkt: Auf einer trübgrünen Flasche prangte ein Hirschgeweih, ein Kreuz und in altdeutscher Fraktur der Spruch: „Dies ist des Jägers Ehrenschild, dass er beschützt und hegt sein Wild. Weidmännisch jagt, wie’s sich gehört, dem Schöpfer im Geschöpfe ehrt.“

Die Firma sponserte die Trikots von Eintracht Braunschweig. Auch das passte.

Das war Jägermeister. Aber das Prinzip Jägermeister ist etwas ganz anderes.

Das habe ich nicht zu Hause kennen gelernt, sondern in New York City. Dort war ich einmal in sehr jungen Jahren, sehr begeistert von der Stadt, mir selbst und dem Leben im Allgemeinen.

Der Freund, mit dem ich diese Reise unternahm, und ich hatten zwei junge Frauen kennen gelernt. Der Abend versprach herrlich zu werden: Gerade dem Zivildienst in Bottrop und dem Abitur in Wanne-Eickel entronnen, gingen wir jetzt mit echten New Yorkerinnen tanzen.

Vorher nahmen wir allerdings noch einen Drink. Das war der Fehler.

„Let’s get a Jäger.“ Ich traute meinen Ohren nicht. Aber die beiden wollten tatsächlich Jägermeister bestellen.

Nicht russischen Wodka. Nicht schottischen Whisky. Keine raffinierten Cocktails. Sondern Jägermeister. Wir waren fassungslos, aber die beiden bestanden darauf: Jägermeister war angesagt. Und als wir von Hustensaft, Hirschgeweih und Eintracht Braunschweig erzählten, da guckten sie uns zum ersten Mal so an, als seien wir aus der Provinz. Der Abend war gelaufen.

Was wir damals nicht wussten: Jägermeister plante, sein Image zu verändern, und hatte damit in den USA begonnen: Jägermeister hatte ein paar Independent-Konzerte gesponsert. Mädchen in engen, grellen T-Shirts waren durch die Clubs gezogen: Mit dem Hirschgeweih ging die Werbung jetzt ironisch um.

Natürlich schmeckt das Zeug immer noch wie Hustensaft. Aber es war jetzt hip.

Schlimm, aber wahr: Es gab kaum Angesagteres in New York als Jägermeister. Und wir, die wir das nicht mitbekommen hatten, waren die Dorftrottel.

Das ist das Prinzip Jägermeister: Man kann den Leuten alles verkaufen. Wenn Jägermeister geht, geht alles. Lasst Mädchen in engen T-Shirts mit der Aufschrift „Hundescheiße“ ein paar Monate durch Kneipen ziehen. Lass „Hundescheiße“ ein Festival auf der Museumsinsel und Rock am Ring sponsern. Lass ein paar Kreative überraschende, ironische Sichtweisen auf „Hundescheiße“ entwickeln.

Ein paar Monate später werden die Leute dafür zahlen, dass Hundescheiße auf dem Bürgersteig vor ihrer Wohnung liegt. Die Berliner können dann übrigens mit Recht behaupten, wieder Trendsetter gewesen zu sein.

Hier in Deutschland waren wir noch einige Jahre vor Jägermeister als hippem Getränk sicher. Nicht, dass es die flotte Kampagne nicht auch hier gegeben hätte. Aber es konnten sich wohl noch zu viele Leute an die Schlucker vor den Trinkhallen oder die Trikots von Eintracht Braunschweig erinnern.

Dachte ich, bis ich vor zwei Wochen die Karte einer Cocktailbar in Berlin-Mitte las. Neben Caipirinha (mit Rum) und Caipiroshka (mit Wodka) gibt es jetzt Caipijäger (mit … ja, genau). Schmeckt auch so.

Kein wahres Leben mit falschem Schnaps?

kolumne@taz.de

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