: Zwei Andenken an Jürgen W. Möllemann
Des vor einem Jahr gestorbenen FDP-Antreibers will der morgige FDP-Parteitag gedenken. Sein Freund Wolfgang Kubicki nimmt die Pose von Möllemann ein: Parteichef Westerwelle kritisieren – und die Liberalen ins Gespräch bringen
BERLIN taz ■ Wie wird ein jährlicher Routine-Parteitag spannend fürs Publikum? Die FDP hat damit Erfahrung: Man streitet sich vorher ein bisschen, um sich zum Abschluss mit Ovationen zu versöhnen.
Früher hat Parteivize Jürgen W. Möllemann stets den Vorab-Querulanten gegeben; seit seinem Fallschirmabsturz ist diese Rolle vakant. Aber es gibt Aspiranten für die Nachfolge – zum Beispiel Wolfgang Kubicki, langjähriger Möllemann-Vertrauter und liberaler Fraktionsvorsitzender in Schleswig-Holstein. Kurz vor dem FDP-Bundesparteitag, der morgen in Dresden beginnt, verfasste er ein Thesenpapier zur Rechts- und Innenpolitik.
Auf acht Seiten formuliert er FDP-Selbstverständlichkeiten wie: „Auch auf Bundesebene sind liberale Innenpolitiker mit Nachdruck gehalten, Unschuldige vor Verfolgungs- und Vollzugsmaßnahmen zu schützen.“ Daher dürften zum Beispiel die Ermittlungskompetenzen des Bundeskriminalamtes nicht ausgeweitet werden.
Die Partei fühlte sich provoziert – nicht durch die Thesen selbst, sondern durch Kubickis kämpferische Pose. Der innenpolitische Sprecher, Max Stadler, schrieb zurück: „Im Großen und Ganzen spiegelt Ihr Papier genau die Politik wider, die ohnehin Praxis der FDP-Bundestagsfraktion ist. Ob Ihnen das wirklich entgangen sein kann?“
Das ist Kubicki natürlich nicht entgangen. „Aber wir lassen den Eindruck zu, dass wir von den Grünen beerbt werden“, moniert sein Sprecher. Stadler sieht das genau anders: „Kubicki bedient ein Stereotyp aus dem Arsenal der Konkurrenten. Es sind doch die Grünen, die ständig das Vorurteil streuen, die FDP sei keine Rechtsstaatpartei mehr.“
Noch vor dem Parteitag werden sich heute Abend die liberalen Länder-Fraktionschefs mit Kubickis Thesen befassen. Denn dort wird auch beklagt, dass die Polizeigesetze in Niedersachsen und Rheinland-Pfalz die heimliche Überwachung ausweiten. Beide Länder sind FDP-regiert. „Herr Kubicki war nicht auf dem neuesten Stand“, sagt Fraktionschef Werner Kuhn aus Rheinland-Pfalz trocken, „das kann ja passieren.“ Tatsächlich sei man sich weitgehend einig.
Die parteiinternen Dissonanzen verschaffen den Liberalen zwar Aufmerksamkeit, doch dürften die Bürgerrechte das falsche Thema sein, um bei den Wahlen für das Europaparlament und in Thüringen am 13. Juni Stimmen zu gewinnen. „Alle erfolgreichen liberalen Parteien in Europa waren nicht libertär“, konstatiert der Göttinger Parteienforscher Franz Walter, „sondern haben auf drakonische Maßnahmen bei der Kriminalitätsbekämpfung gesetzt.“
Momentan rechnet nur Guido Westerwelle damit, dass die FDP in den Thüringer Landtag einziehen könnte; Umfragen sehen die Liberalen bei drei bis vier Prozent der Stimmen. Beim EU-Parlament stehen die Chancen besser: In den letzten zehn Jahren war die FDP dort nicht vertreten, doch nun könnte es für fünf bis sieben Prozent reichen.
Dennoch sind die Liberalen nervös. Parteivize Rainer Brüderle fordert, die liberalen Positionen „radikaler und stärker zugespitzt“ darzustellen. EU-Spitzenkandidatin Silvana Koch-Mehrin vermisst ebenfalls eine strategische Ausrichtung. Diese Kritik gilt indirekt Westerwelle – und ist keineswegs neu. Im letzten Herbst nahmen die parteiinternen Klagen über seine Führungsschwäche derart zu, dass sich Westerwelle gezwungen sah, auf der Titelseite der Bild öffentliche Buße zu tun: „Ich muss besser werden.“ Seither arbeitet er an einer 20-seitigen Positionsschrift, die nun auf dem Parteitag debattiert, aber nicht abgestimmt wird. Sie dürfte jedoch nicht kontrovers sein, schließlich wiederholt sie vor allem liberales Standardrepertoire. So sollen die gesetzlichen Krankenkassen in private Gesundheitsversicherungen „übergeführt“ und Geringverdiener durch eine „negative Einkommensteuer“ subventioniert werden.
Der Parteitag wird sich aber auch kurz mit der Vergangenheit beschäftigten: Morgen vor genau einem Jahr kam Möllemann ums Leben. Seiner soll „respektvoll und würdevoll“ gedacht werden.
ULRIKE HERRMANN