Die Abrissbirnen

Die FDP stürzt Thälmann, die SPD sprengt das ICC. Wer in diesem Sommer Schlagzeilen braucht, fordert einen Abriss. Die taz sagt: Weiter so

von ROBIN ALEXANDER

Der Arc de Triomphe in Paris erinnert an Napoleon. Von der Größe Nicolae Ceaușescus kündet das große Haus des Volkes in Bukarest. Berlin wurde zuletzt vom Kanzler der Einheit, Helmut Kohl, mit einem Riesenkanzleramt beglückt. In Zeiten knapper Kassen ist das monumentale Bauen allerdings etwas aus der Mode gekommen. Die großen und noch nicht ganz so großen Männer der Berliner Politik machen aus der Not eine Tugend: Weil sie nicht bauen dürfen, reißen sie ein. Wer in diesem Sommer groß rauskommen will, fordert Abriss. Die taz stellt vor, wer was warum weghaben will:

Martin Lindner, Fraktionschef der FDP, rief gestern im Berliner Kurier zum Sturz des Ernst-Thälmann-Denkmals in Prenzlauer Berg auf. Lindner: „Die Thälmann-Büste sollte sofort abgerissen werden. Sie steht als politisches Symbol nicht für Freiheit und Toleranz, sondern für Sozialismus und Unterdrückung. Dieser monströse Thälmann-Kopf ist zudem ein ästhetisches Ärgernis, völlig verdreckt.“ Lindner hat auch schon eine Verwendung für den gestürzten Teddy Thälmann: „Die zersägte Büste könnte noch einen letzten Nutzen für Berlin haben, nämlich als Untergrund für den Palast der Republik bis zur Wiedererichtung des Schlosses. Bei einem Palast-Abriss muss nämlich die Baugrube beschwert werden, damit nicht der angrenzende Dom beschädigt wird.“ Ein Abriss nach dem anderen, Lindner geht ganz schön ran.

Muss er auch, denn die Konkurrenz hat vorgelegt. „Ich habe keine Bedenken gegen einen Abriss des ICC – auch wenn es sich um ein prestigeträchtiges Bauwerk handelt“, erklärte SPD-Fraktionschef Michael Müller vor eingen Wochen vor Journalisten. Das Kongresszentrum macht schließlich Miese, und ein Investor ist nicht in Sicht. So etwas gibt es in Berlin ja sonst gar nicht. Nach der Abrissforderung schnellte der Bekanntheitsgrad von ICC-Müller steil nach oben. Ihn kennen jetzt schon fast 30 Prozent der Berliner.

Erzbischof Georg Kardinal Sterzinsky verweigert sich in typisch katholischem Konservatismus der Abrissdebatte. Noch. Denn der Kardinal, der sein Bistum im gut berlinischem Stil in 150 Millionen Euro Schulden führte, baggert bisher nur mäßig erfolgreich um Finanzhilfen bei den rheinischen und bayerischen Brüdern im Herrn. Jetzt spart die Kirche erst einmal ihre Migrationsberatung und Ausländerreferenten ein. Das wird nicht reichen: Ein geregelter Messbetrieb in allen 120 katholischen Kirchen ist nicht aufrechtzuerhalten. Und bevor Wave-and-Gothic-Partys oder Erotikmessen die heiligen Hallen entweihen, lässt Sterzinsky sie lieber niederreißen. Besuchen Sie Sankt Hedwig am Bebelplatz, solange sie noch steht.

Der ADAC hat nicht nur mehr gläubige Anhänger als die katholische Kirche, sondern auch mehr Geld. Deshalb können die gelben Engel nicht nur einen Abriss bezahlen, sondern sogar einen Bau. Lange genug haben Öko-Ideologen und versponnende Stadtplaner die freie Fahrt freier Bürger durchs Symbol der Freiheit behindert. ADAC-Präsident Peter Meyer kauft Berlin deshalb das Brandenburger Tor ab – und schleift es. Bald führt eine schicke vierspurige Stadtautobahn vom Alexanderplatz über Unter den Linden und Straße des 17. Juni bis zur Heerstraße. Stau war gestern.

Italienurlaub auch. Der Kanzler musste seinen Urlaub im Land, wo die Zitronen blühn, absagen. Das belastet das deutsch-italienische Verhältnis. Und Doris Schröder-Köpf. Die hatte schon Sonnenöl, Badeschlappen und den neuen John Grisham in den Koffer gepackt. Nun muss die First Lady wieder auspacken. Die Italiener nicht: Die Umzugskisten in der frisch eröffneten Botschaft bleiben zu. Das gerade für 15 Millionen Euro sanierte Gebäude im schönen faschistischen Stil wird abgerissen, fordert die Kanzlergattin. Strafe muss sein.

Peter Grottian und seine Initiative Bankenskandal haben noch einmal nachgerechnet. Bisherige Forderungen wie die freiwillige Rückgabe der Prominentenfonds und die Rücknahme der Risikoabschirmung für die Bankgesellschaft waren noch zu fantasielos-realistisch.

Große Krisen erfordern größere Pläne: Ein von einem Konsortium aus neun Professoren erstelltes Gutachten sieht vor: Gesprengt wird zunächst die Zentrale der Bankgesellschaft am Alexanderplatz. Abgerissen werden dann alle Filialen und Sparkassen in Berlin. Abgerissen werden zuletzt auch alle in Ostdeutschland und dem Rest der Welt verstreuten unrentablen Immobilien. Die ehemaligen Inhaber mit abgerissener Bankarbeitsplätze treffen sich im Herbst zu einem Sozialkonvent.

In der Kochstraße wird ein Turm fallen, der einst trotzig in die DDR blickte. Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender des Axel-Springer-Verlages, lässt das Springerhochhaus abreißen. Dieser Plan zeichnete sich bereits ab: In Etage 4 bis 6 residiert die B.Z. – nach dem Abgang von Chefredakteur Georg Gafron nur noch halb so lustig. In 7 bis 9 arbeiten die Kollegen der Morgenpost – die nach der Fusion mit der Welt ihr eigenes Blatt nicht mehr wiedererkennen. In Stockwerk 10 bis 15 wirkt jetzt noch die Welt-Redaktion. Aber Döpfner hat ja schon angekündigt, die Welt einzustellen, wenn Tagesspiegel und Berliner Zeitung bald in einem Verlag erscheinen. Richtig Geld macht bei Springer sowieso nur die Bild – und die wird in Hamburg gemacht.

Zur Überraschung vieler politischer Beobacher hat sich Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) in der letzten Haushaltsklausur des Senats darauf eingelassen, keine konkrete Summe einzusparen, sondern „haushaltsrelevante Strukturentscheidungen“ zu treffen.

Aber was sind „haushaltsrelevante Strukturentscheidungen“? Na klar: Alles, was sich nicht rechnet, wird eingerissen. Die Bagger stehen schon vor Zoos, Theatern, Opern, Universitäten (außer Naturwissenschaften), Sozialwohnungen, U-Bahn-Stationen und Busdepots. Mit dem ganzen Schutt können dann die wegen mangelnder Rentabilität stillgelegten Sommerbäder aufgefüllt werden.