: Unbehagen am Homokarneval
Europride in Hamburg? Ach, lahm war er, der Auftakt der diesjährigen CSD-Saison – und hätte ebendeswegen nicht wahrhaftiger sein können. Denn allen stolzen Paraden zum Trotz ist Homosexualität noch lange nicht gesellschaftsfähig
VON JAN FEDDERSEN
Der Ort der Veranstaltung war ja nicht schlecht gewählt. Das Schmidts Tivoli ist tatsächlich seit seiner Eröffnung 1988 der Tempel schlechthin für jene Kultur, die das Homosexuelle nicht beiläufig in sich mitschwingen lässt, sondern selbstbewusst vor sich herträgt. Und weshalb hätte man die Gala zum Auftakt des Europride in eine andere Arena verlegen sollen? Immerhin gibt es die Gründer des Schmidts ja noch – und sie zeigten sich natürlich auch am Freitagabend, als die zehntägige Rallye der Umzüge, Straßenfeste, Lesungen und Liederabende begann: Corny Littmann und Lilo Wanders.
Niemand verkörpert besser als diese beiden, wie sehr es Homokultur in den Mainstream geschafft hat – und wie viel Distanz noch fehlt, um als gänzlich respektiert zu gelten. Littmann, ein immer noch fit wirkender Mann in den Fünfzigern, hat in den Siebzigern das schwule „Brühwarm“-Theater kreiert, Lilo Wanders hieß damals noch Ernie Reinhardt, kam aus der Lüneburger Heide nach Hamburg, um zum beliebtesten Frauenglanzdarsteller mit männlichem Geschlecht zu gelten.
Trotzdem deprimierte die Gala eher, als dass sie dem Festival ein erstes Highlight beschert hätte: Nicht an den Kleinkünstlern lag es, dass der Saal nicht ausverkauft, dass es eben kein Pflichttermin für die Schönen und Hippen und Liberalen der Stadt war. Wenn schon der Schirmherr der Gala nicht beiwohnt: Was sonst hätte signalisieren können, dass man es so ernst mit den Dingen der sexuellen Befreiung und des Kampfes um sie nicht meint. Und vom Patron, vom Bürgermeister, durfte man das ja auch nicht erwarten: Ole von Beust, der seine zweite Amtsperiode auf dem Ticket des Outingopfers reist, ist nicht gerade dafür bekannt, souverän für Bürgerrechte Homosexueller zu streiten: Dass er klimatische Veränderungen im gesellschaftlichen Fühlen gern nutzt, ist ihm ja nicht übelzunehmen – nur macht er das nur so wie hunderttausende andere, denen die Angst vor dem Ruchbarwerden ihrer Homosexualität immer noch eingeschrieben ist.
Insofern hätte der Auftakt der diesjährigen CSD-Saison kaum wahrhaftiger ausfallen können. Der Unterschied zu den späten Siebzigern ist greifbar: Corny Littmann, der gefürchtete Theaterprinzipal von der Reeperbahn, war ja vor einem Vierteljahrhundert daran beteiligt, auf der unterirdischen Herrentoilette, ganz nah am heutigen Schmidts Tivoli, einen Spitzelspiegel zu zertrümmern: Der Vorfall machte damals Furore – Schwule prangern die unappetitliche Recherche für staatliche rosa Listen an. Das weiß heute fast niemand mehr: dass der Staat bis in die Siebziger Daten sammelte, um die unsittlichen Männer besser kontrollieren zu können.
Vorbei, welch Glück. Moralisch unhaltbar gemacht, dieser Kampf hat sich gelohnt. Dennoch war eben auf dieser Europride-Eröffnung nicht mehr so recht spürbar, was mal war. Pride? Stolz? Worauf? Schwul zu sein, lesbisch zu leben? Was könnte daran stolz machen? Das homosexuelle Publikum weiß es offenbar nicht, und die heterosexuellen Milieus können es auch nicht beantworten. „Dafür haben wir nicht gekämpft“, glossiert seit Monaten das Berliner Homostadtmagazin Siegessäule eine Rubrik, in der aufgespießt wird, was skurril und komisch ist an den Folgen der Liberalisierung. Schwule Frisöre (Gerhard Meir), ältere Damen, die als Altersfach den Schutzengel Homosexueller gewählt haben (Judy Winter) oder die Regenbogenflagge, seit Beginn der Aidsepidemie das Symbol der Gay United Nations – okkupiert von der Friedensbewegung gegen die USA.
Resultat des Du-darfst-Zeitgeists seit Ende der Sechziger. Alles ist möglich, vieles schien möglicher. Manuela Kay, Siegessäule-Chefredakteurin, sagt aber: „Einen wie Wowi gibt es nur alle fünf Jahre.“ Einen Mann wie den Berliner Bürgermeister, der so selbstverständlich schwul ist, dass die Versteckspiele anderer Politiker fast beschämend, ja feige wirken. Aber Wowi ist eben ein Einzelfall, die schöne Blume, die den ungedeckten Tisch übersehen lassen möchte. In der Bundestagsfraktion der Union sollen mehr Schwule und Lesben sein, als man denkt – aber sie alle zeigen sich nicht. Einer wie Johannes Kahrs, Sprecher des rechtssozialdemokratischen Seeheimer Kreises und selbst schwul, erklärt: „Ich bin Politiker, kein schwuler Politiker.“ Er wolle nicht abgestempelt werden – und diese Furcht empfänden Kollegen der Union ebenso.
Möglicherweise ist das die Rache an einer Szene, die sich seit 30 Jahren um Politik kaum kümmert, die Durchsetzung von Bürgerrechten für eher unwichtig hält – und die, jeder CSD-Umzug in Berlin oder Köln oder Hamburg beweist es, eher die Parole „Schöner ficken“ propagiert: Schwules als Avantgardelabel für das moderne Singlebewusstsein. Eingerichtet in den Nischen der Comedy (Dirk Bach oder Hella von Sinnen), im Komischen und Skurrilen: Wir nehmen nichts ernst, was können wir lachen, was sind wir schrill – das und nur das sind die Botschaften, die von CSD-Paraden mitgenommen werden: Nehmt uns nicht so ernst, wir meinen es nicht so.
CSD – wer kann überhaupt auf Anhieb sagen, woraus dieses Kürzel geboren wurde? Dass in der New Yorker Christopher Street 1969 Tunten und Transen sich gegen Polizeirazzien militant zur Wehr setzten – hierzulande ein ausgelöschtes Bewusstsein, eine verlorene Erinnerungsspur vergangener Tage. Es hat ein solches nie so recht gegeben: Christopher Street Paraden, sprich: CSDs, waren Karnevalsumzüge für den postmodernen Zeitgeist.
Einer, der eine gewisse Katerstimmung hinterlassen hat. Umfragen besagen, dass die schlimmste Angst männlicher Jugendlicher jene ist, schwul werden zu können. Und ein Blick in die Klatschpresse belehrt: Schwule und Lesben sind nur auf B- und C-Partys präsent. Homosexuelle Paare – nicht gesellschaftsfähig. Kein Wunder, dass in jenen Kreisen, die sich nicht wie Comedy buchstabieren lassen, etwa dem Militär, den Parteien oder dem Sport, niemand so recht den Mut aufbringt, sich öffentlich als homosexuell zu zeigen – unaufgeregt und ohne die Pose des Besonderen. Es gibt ja auch HeldInnen wie den Hafenausrüster aus Bremen, die Bäckerin aus Bottrop, den Buchhändler aus Sonthofen oder den Kfz-Meister aus Berlin-Lichtenberg. Meistens aber gilt: Hier der Freiraum, lustig sein zu dürfen (und müssen), dort die Angst, mit diesem Winkel identifiziert zu werden. Eine Zwickmühle. Für sie hat sich der Kampf wirklich nicht gelohnt. Der Europride hat lahm angefangen. Alles andere wäre eine Lüge gewesen.