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Archiv-Artikel

„Die Stasi ist nicht nur ein Ostproblem“

Wenn die Rosenholz-Daten verfügbar sind, soll auch im Westen gegauckt werden, sagt Hans-Joachim Hacker (SPD)

taz: Herr Hacker, dank der Rosenholz-Daten verfügt die Birthler-Behörde in spätestens einem halben Jahr über die Namen vieler Westdeutscher, die für die Stasi arbeiteten. Sagen Sie als Ossi: Jetzt muss auch im Westen gegauckt werden?

Hans-Joachim Hacker: Das hätte schon längst passieren müssen. Das Stasi-Unterlagen-Gesetz ist doch keine „Lex Osten“ – kein Gesetz nur für Ostdeutschland. Der Fakt, dass es für die gesamte Bundesrepublik gilt, wurde von den Behörden im alten Bundesgebiet lange ignoriert. Man ruhte sich auf dem Gedanken aus, dass die Hinterlassenschaften des DDR-Geheimdienstes ein ostdeutsches Problem seien.

Wer sollte überprüft werden?

Die Rosenholz-Daten wurden von Strafverfolgern schon durchgesehen. Danach hat es ein paar hundert Verfahren gegeben. In einigen Fällen kam es zu Verurteilungen. In vielen anderen auch zu Freisprüchen.

Heißt das, alles erledigt?

Nein. Neben strafrechtlichen Kategorien gibt es ja noch moralische. Nach diesen sind die Akten noch nicht begutachtet worden.

Also doch prüfen?

Genau. Das betrifft zum Beispiel Mitarbeiter sicherheitsrelevanter Behörden, die bisher gar nicht betroffen waren. Oder auch solche, bei denen frühere Überprüfungen keine Mitarbeit zu Tage förderten. Im Einzelfall entscheiden darüber die Behördenleiter.

Auch 10.000 Ostdeutsche arbeiteten für die DDR-Auslandsspionage. Muss jetzt der öffentliche Dienst Ostdeutschlands erneut überprüft werden?

Für den Osten gilt selbstverständlich die gleiche Forderung. Führende Angestellte im öffentlichen Dienst und Mitarbeiter sicherheitsrelevanter Behörden sollten noch einmal überprüft werden. Die Beauftragte für die Stasi-Unterlagen, Marianne Birthler, hat das ja für ihr Haus schon angekündigt. Jetzt gilt es für andere nachzuziehen.

Und Politiker?

Es wäre Unfug, bis hinunter zum ehrenamtlichen Ortsbürgermeister zu prüfen. Aber Landtagsabgeordnete und Mitglieder des Bundestags – das sollte schon sein. Nicht zuletzt deswegen, weil Politiker Vorbildwirkung haben. Wenn wir uns nicht gaucken ließen, hätten auch andere keinen Grund, das zu tun.

Wurde in Sachen Tätigkeit für die Staatssicherheit in West und Ost bisher mit zweierlei Maß gemessen?

Der Gesetzgeber hat das im Stasi-Unterlagen-Gesetz nicht getan. Aber die Verwaltung in den alten Bundesländern hat die Notwendigkeit nicht erkannt, sich mit Geschichte auseinander zu setzen. So ist ja erst der unzutreffende Eindruck entstanden, dass sich das Stasi-Unterlagen-Gesetz nur gegen DDR-Bürger richte.

Sie selbst stellen sich bereits zum vierten Mal einer freiwilligen Überprüfung auf frühere Stasi-Mitarbeit. Sind sie das nicht langsam leid?

Das ist für mich ja kein großer Aufwand. Die Arbeit damit hat die Birthler-Behörde. Ich unterziehe mich regelmäßig neuen Überprüfungen, weil immer wieder neue Stasi-Akten erschlossen werden. Bisher hat die Birthler-Behörde keine Möglichkeit, letztgültige Aussagen zu treffen. Die finden immer wieder Neues.

INTERVIEW: MATTHIAS BRAUN