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Archiv-Artikel

Baggern für Kongos Zukunft

Bei der Suche nach Investoren liegen Deutsche mit an vorderster Front

von FRANÇOIS MISSER und DOMINIC JOHNSON

Die Regierung steht, der Krieg ist vorbei. Am 30. Juni verkündete Joseph Kabila, Präsident der Demokratischen Republik Kongo, die Zusammensetzung der Allparteienregierung, in der die bisherigen Kriegsgegner des Landes nunmehr gemeinsam regieren sollen. In diesen Tagen beginnt die Einsetzung der Minister und Vizepräsidenten, und die erste reguläre Kabinettssitzung ist für den 19. Juli geplant. Dann kann nach fünf Jahren Krieg, der nach unabhängigen Schätzungen 3,3 Millionen direkte und indirekte Todesopfer gefordert hat, der Wiederaufbau beginnen.

Die Aufgabe ist immens. Schon unter der Diktatur des 1997 gestürzten Mobutu Sese Seko wurde die produktive Wirtschaft heruntergewirtschaftet. In den Kriegsjahren hat sich der Niedergang beschleunigt. Das Pro-Kopf-Einkommen ist heute weniger als ein Viertel so hoch wie Mitte der Achtziger: Nach Regierungsangaben sank das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf zwischen 1985 und 2001 von 1,31 auf 0,30 Dollar pro Tag. 2001 gingen nur noch 14 Prozent der Kinder im schulpflichtigen Alter zur Schule. 40 Prozent der Bevölkerung, das sind 18,5 Millionen Menschen, haben keinerlei Zugang zu irgendeiner Form von Gesundheitsversorgung; drei Viertel haben keinen Zugang zu sauberem Wasser. Im Jahr 2000 hatten gerade mal 4 Prozent der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter einen bezahlten Arbeitsplatz im formellen Sektor.

Grundlage für den Wiederaufbau wird das Investitionsprogramm sein, das Kongos Regierung im Jahr 2001 kurz nach Joseph Kabilas Machtübernahme vorlegte. Es summiert sich auf 12,5 Milliarden Dollar über den Zeitraum 2001–2010. 5 Milliarden davon könnten aus eigenen Staatseinnahmen gedeckt werden, der Rest müsste vom Ausland kommen. Aber die letzte internationale Kongo-Geberkonferenz im Dezember 2002 brachte lediglich Zusagen von 2,5 Milliarden Dollar, die bisher auch nur auf dem Papier stehen. Lediglich die Weltbank bewilligte im August 2002 ein Notprogramm von 450 Millionen Dollar zur Sanierung von Infrastruktur in der Hauptstadt Kinshasa.

Hauptproblem für Kongos Staatsfinanzen ist die hohe Last der Auslandsschulden: derzeit 15 Milliarden Dollar. Die Verschuldung begann unter Mobutu, der größere Teil der Summe sind aber inzwischen Rückstände bei Zinszahlungen. Allein der Schuldendienst für 2002 betrug 171 Prozent der Staatseinnahmen.

Eine Schuldenstreichung ist nicht in Sicht. Der Kongo ist aber an der Weltbank-Initiative HIPC (Highly Indebted Poor Countries) beteiligt, einem multilateralen Mechanismus zum Schuldenerlass im Gegenzug für eine Unterwerfung der Wirtschaftspolitik des betroffenen Landes unter die Bedingungen der Kreditgeber. Am 23. Juli wollen Weltbank und Internationaler Währungsfonds (IWF) erklären, dass der Kongo den „Decision Point“ zum Eintritt in den HIPC-Mechanismus erreicht hat. Nach diesem Zeitpunkt könnten innerhalb von drei Jahren 80 Prozent der Schulden erlassen werden.

Weltbank und IWF machten vor einiger Zeit aber deutlich, dass sie den Termin des 23. Juli verschieben würden, wenn bis dahin nicht die Allparteienregierung des Kongo im Amt sei. Dies erklärt, warum es Kabila so wichtig war, die Regierungsbildung zu verkünden und bis Mitte Juli abzuschließen, obwohl zahlreiche praktische Probleme noch ungelöst sind und im Osten des Landes der Krieg weitergeht.

Auch ein Schuldenerlass bringt aber noch kein frisches Geld ins Land. Das Investitionsprogramm der Regierung beinhaltet zum Beispiel Investitionen in die Infrastruktur in Höhe von 4 Milliarden Dollar; das Straßennetz des Kongo ist nahezu komplett zerstört. Hätte es nicht bereits Nothilfen der EU und der Weltbank gegeben, wäre die über sechs Millionen Einwohner zählende Hauptstadt Kinshasa komplett vom 300 Kilometer westlich liegenden Atlantikhafen Matadi abgeschnitten, über den die Hauptstadt den Großteil ihrer Konsumgüter bezieht. Der Kongo-Fluss, wichtigster Verkehrsweg des Landes, müsste ebenso wie die Flüsse Ubangi und Kasai sowie die Meeresenge zwischen Matadi und dem Atlantik dringend neu ausgebaggert werden.

Weitere 4 Milliarden will die Regierung für den Wiederaufbau der produktiven Ökonomie. Kongos Exportwirtschaft ist heute nur noch ein Schatten ihrer selbst. 80 Prozent der kongolesischen Exporteinnahmen kommen traditionell aus dem Bergbau, aber Ausplünderung unter Mobutu und später durch die Kriegsparteien hat die Bergwerke zugrunde gewirtschaftet.

Der wichtigste Bergbausektor ist die Diamantenförderung, aber die dafür zentrale Region Kasai befindet sich in latentem Aufstand, nachdem die dort starke Partei UDPS (Union für Demokratie und sozialen Fortschritt) den gewünschten Vizepräsidentenposten in der neuen Regierung nicht erhielt und diese nun boykottiert. In Kasais Hauptstadt Mbuji-Mayi gibt es bereits regelmäßig Unruhen sowie Forderungen, keine Diamanten über Kinshasa zu exportieren.

Andere zentrale Sektoren wie der Abbau von Gold und Coltan im Osten des Landes funktionierten schon vor dem Krieg nur noch durch informelles Schürfen und Schmuggeln am Staat vorbei. Nach Kriegsbeginn vergaben die Kriegsparteien im ganzen Land zur Finanzierung ihres Krieges Bergbaubeteiligungen an ihre ausländischen Verbündeten, was von einer UN-Untersuchungskommission als „illegale Ausplünderung“ durch „kriminelle Netzwerke“ kritisiert worden ist. Dieses oft obskure Ausbeutungssystem wieder zu entwirren, ist juristisch und politisch sehr schwierig, zumal die Profiteure davon in der neuen Regierung sitzen.

Wichtig für den Wiederaufbau wäre es, die Landwirtschaft wieder in Gang zu bringen, um Schürfern und Milizionären eine neue Perspektive zu bieten. In einem Interview vor wenigen Tagen nannte Kabila als seine Priorität die Sanierung des Agrarsektors. Die kommerzielle Plantagenwirtschaft ist zerstört: Die Palmölproduktion sank zwischen 1988 und 1999 von 100.000 auf 7.000 Tonnen; die Kautschukernte fiel zwischen 1988 und 2000 von 10.000 Tonnen auf ganze 23.

Die Subsistenzwirtschaft ist dringend auf Investitionen in Straßen und soziale Grunddienste angewiesen. Manche Beobachter und Hilfswerke schlagen in diesem Zusammenhang groß angelegte „Food for Work“-Programme vor, in denen Mittellose in Naturalien für gemeinnützige Arbeit entlohnt werden.

Doch für einen reellen Aufschwung braucht der Kongo Investoren. Hier liegt Deutschland mit an vorderster Front. So könnte die Tropenholzfirma Danzer, die über große Konzessionen im Nordwesten des Kongo verfügt und deren Umsatz im Kongo seit Kriegsbeginn von 12 auf 2 Millionen Dollar geschrumpft ist, ihre Aktivitäten wieder aufnehmen. Und im ostkongolesischen Bukavu arbeitet als einer der größten formellen Arbeitgeber der Region die deutsche Pharmakina, die Anti-Malaria-Mittel herstellt und ihre Produktion in diesem Jahr auf Aidsmedikamente ausweiten will.

Wichtigster deutscher Investor im Kongo ist Siemens, dessen belgische Filiale das Stromnetz der Hauptstadt Kinshasa instand setzt, gefördert von der Weltbank als Teils des bereits erwähnten Notprogramms. Auch die Modernisierung der bestehenden Kraftwerke des Inga-Staudamms nahe Kinshasa, die derzeit nur mit 30 Prozent Kapazität arbeiten, wird von Siemens durchgeführt, und der deutsche Konzern ist auch in der Telekommunikation präsent.

Bevor Siemens den Zuschlag der Weltbank für die Stromleitungen von Kinshasa bekam, unterzeichnete der Konzern ein Abkommen mit Kongos Regierung, das die „kreative“ Finanzierung von Siemens-Projekten durch den kongolesischen Staat ermöglicht – zum Beispiel in Form von Diamanten. So ist Siemens gut positioniert, den Löwenanteil am vermutlich interessantesten Großinvestitionsprojekt des Kongo zu bekommen: der Erweiterung der Wasserkraftwerke von Inga, die nahe Kinshasa den Kongo-Fluss aufstauen und theoretisch die gigantische Kapazität von 44.000 Megawatt haben.

Schon jetzt wird aus Inga Strom bis nach Südafrika exportiert, und es gibt Pläne für Hochspannungstrassen bis nach Ägypten, was 30 Milliarden Dollar kosten würde. Die Renaissance von Inga wäre aus südafrikanischer Sicht das zentrale Großprojekt Afrikas im Rahmen des panafrikanischen Entwicklungsplans Nepad (Neue Partnerschaft zur Entwicklung Afrikas).

Doch der Kongo hat ein Grundproblem, das solchen Großinvestitionen entgegensteht. Das Land ist auch nach der Bildung einer gemeinsamen Regierung der Kriegsgegner weder friedlich noch geeint. Die staatliche Autorität dieser neuen Regierung – nicht zu verwechseln mit der persönlichen Autorität einzelner ihrer Mitglieder – muss sich erst noch etablieren. Rechtssicherheit und klare Regeln zum Schutz von Investoren und Kapital gibt es im Kongo nicht – dafür jede Menge Bewaffnete, die bezahlt werden wollen und sich notfalls mit Gewalt holen, was sie zum Leben brauchen.