: Gratis-Angebote an den Kanzler
Die Urlaubsabsage von Gerhard Schröder sorgt in Italien für Aufregung. Und die Stadt Pesaro, das verhinderte Reiseziel, fordert sogar Schadenersatz
aus Rom MICHAEL BRAUN
Schröder kommt nicht? „Tut mir Leid für ihn“. Mehr als diese paar pikierten Worte hatte Silvio Berlusconi am Mittwochabend nicht übrig für die Absage des Kanzlerurlaubs in Bella Italia. Es herrscht Eiszeit zwischen Berlin und Rom. Berlusconi stört das nicht weiter. Die Aufforderung des Kanzlers, die Tiraden seines Tourismus-Staatssekretärs dürften nicht „ohne Konsequenzen“ bleiben, hatte Italiens Ministerpräsident mit eisernem Schweigen beantwortet. Stattdessen mussten zwei Minister in die Bütt, um sich von Stefani zu distanzieren. Und der bleibt im Amt, als wäre nichts gewesen.
Mehr noch: Stefani erklärte auf einer Pressekonferenz, er habe keinen Grund, sich zu entschuldigen, er sei ja bloß missverstanden worden. Die Nummer hatte er sich bei seinem Dienstherrn Berlusconi abgeguckt. Hatte der nicht Schröder nach dem Kapo-Vergleich trefflich am Nasenring durch die Arena geführt, ihn erst angerufen, um „Bedauern“ zu äußern, um dann richtig zu stellen, das sei natürlich keine Entschuldigung für seine leider missverstandene Ironie gewesen?
Gleich zweimal in einer Woche düpiert zu werden mit Distanzierungen, die keine sind, mit Richtigstellungen, die nichts geraderücken – das stieß in Berlin sauer auf. Schröder bleibt am Maschsee, und Italien hat seinen Skandal. Bloß die Regierung in Rom tut weiter so, als sei gar nichts passiert. Außenminister Franco Frattini empfindet „tiefes Bedauern“ und setzt nach, natürlich sei Herrn Schröders Absage „kein politischer Fall“, der sei doch schon „vor zwei Tagen“ mit den Erklärungen aus der Welt geschafft worden, Stefani spreche nicht für die Regierung. Europaminister Rocco Buttiglione von der christdemokratischen Zentrumsunion allerdings rang sich mittlerweile als erstes Kabinettsmitglied zu der Forderung durch, der „verrückte“ Stefani müsse weg.
So sieht das auch die Tourismusindustrie. Für die sind die zehn Millionen jährlich in Italien einfallenden Tedeschi ein sehr wichtiger Einnahmeposten: Sie stellen ein Drittel aller ausländischen Gäste und lassen etwa neun Milliarden Euro im Land. Ein Hotelier-Verbandsvertreter befand, Stefano Stefani sei „schlimmer als die Algenpest“, die vor ein paar Jahren die Saison an der Adria verdorben hatte, und Schröders verhindertes Reiseziel Pesaro will den Staatssekretär sogar auf Schadenersatz verklagen. Schröder dagegen könnte richtig billig Urlaub machen. Aus ganz Italien hagelt es Gratiseinladungen an den Cancelliere.
Der stößt auch in breiten Teilen der Bevölkerung durchaus auf Sympathie. In einer Meinungsumfrage bekundeten immerhin 49 Prozent Verständnis, 40 Prozent sprachen sich gegen die Absage aus. Privat machen in Italien lebende Deutsche in diesen Tagen immer wieder die Erfahrung, dass der Zeitungshändler, der Restaurantbesitzer, der Nachbar leicht betreten das Thema anschneidet, sich gar entschuldigt und hinzufügt: „Verwechselt uns bloß nicht mit diesen Berlusconis und Stefanis!“
Viele oppositionell gestimmte Italiener zeigen auch ein lachendes Auge. Sie fühlen sich schlicht weniger allein, weil „jetzt endlich auch mal Europa mitkriegt, wie Berlusconi, Bossi & Co. wirklich sind“. Und sie feiern als echte Neuheit, dass Italiens Rechte endlich Gegenwind bekommt, eine Rechte, die zu Hause schon seit Jahren aggressiv und hasserfüllt ihre Kampagnen gegen politische Gegner („Stalinisten“), die Justiz („Terroristen“, „Putschisten“ etc.) und Ausländer führt. So kommentierte die linke Tageszeitung Il Manifesto jetzt Schröders Urlaubs-Nein: „Die wahre Neuheit für uns in Italien besteht darin, dass jemand Grenzen setzt, dass die verbale Gewalttätigkeit unserer Regierungsmannschaft auf Konsequenzen stößt, dass den Wahlsiegern nicht einfach alles gestattet ist.“
Eben diese Hasskampagnen laufen allerdings in den Berlusconi-treuen Medien weiter; die rechten Gazetten hatten schon Berlusconis Ausfälle gegen Martin Schulz zu einer Frage der Ehre der Nation hochstilisiert – und drehen jetzt weiter an diesem Rad. Seit acht Tagen ist die Rechtspresse – Berlusconis Organe Il Giornale und Il Foglio genauso wie die Tageszeitung Libero – voll mit Kommentaren stramm konservativer Intellektueller, die die Regierung dafür feiern, dass sie Italien endlich wieder den Stolz zurückgegeben habe, dass das Land sich „nicht mehr alles gefallen lässt“ und die alte „Unterwürfigkeit“ abgelegt habe. Wo der Gegner sitzt, ist auch klar: in Berlin und Paris. Exstaatspräsident Francesco Cossiga darf in Interviews schwadronieren, Berlusconi verhindere gerade das Wiedererstehen eines „Vierten Reichs“, und quer durch die Rechtsblätter werden die Verschwörungstheorien gepflegt: Berlusconi sei von Schulz „provoziert worden“, im Auftrag der „deutsch-französischen Achse“, des „karolingischen Europa“.
Angesichts dieser Töne ist die Mitte-links-Opposition vollkommen umgeschwenkt von ihrem Kooperationsangebot an die Regierung während des italienischen EU-Halbjahrs. Gestern brachte sie im Parlament den Antrag auf Entlassung Stefano Stefanis ein; so gut wie alle ihre Vertreter erklärten sich mit Schröder solidarisch.
Zugleich beschäftigt sie die Frage: Was will Berlusconi? Er hatte im Vorfeld das Europa-Halbjahr zum großen Medienevent geblasen und setzte erkennbar auf die Unterzeichnung der Europäischen Verfassung in Rom. Diese Pläne rücken nun in weite Ferne, und langsam greifen auch auf der Linken Verschwörungstheorien. Wenn Berlusconi gar nicht ungeschickt wäre – und stattdessen im Auftrag seines amerikanischen Freundes Bush ein wenig Europa demolieren möchte? Auf die übliche Antrittsrunde in allen EU-Hauptstädten jedenfalls hat Berlusconi verzichtet. Stattdessen fährt er am 21. Juli nach Washington.