: „Das Herz mit einem Lächeln gebrochen“
Der 40. US-Präsident galt seinen Landsleuten als der effektivste Kommunikator seit Franklin D. Roosevelt. Seine Kernphilosophie von Entstaatlichung, Deregulierung und Steuersenkung findet unter den meisten Konservativen nach wie vor uneingeschränkte Sympathie
WASHINGTON taz ■ Am Tag seines Todes entzweite Ronald Reagan seine Landsleute nicht. Freunde und ehemalige Feinde priesen ihn als einen der größten Amerikaner. Dennoch blieb erstaunlich viel Raum für einen differenzierten Nachruf auf diesen einst so umstrittenen Präsidenten, der für Konservative fast Heiligenstatus erreichte und von vielen Liberalen gehasst wurde.
Einig sind sich alle, dass seine „konservative Revolution“ tiefe, bis heute sichtbare Spuren in den USA hinterlassen hat. Uneinigkeit herrscht, wie diese zu bewerten sind.
Doch selbst die liberale New York Times ehrte den Mann, den sie früher so scharf attackiert hatte, mit einem 15-seitigen Nachruf. Reagan habe Amerika seinen Glauben an sich zurückgegeben. Auch viele Demokraten stimmen in diesen Chor ein. Bill Clinton erklärte: „Hillary und ich werden Ronald Reagan im Gedächtnis behalten, da er den unerschütterlichen Optimismus des amerikanischen Volkes personifizierte und an vorderster Front für die Freiheit von Menschen auf der ganzen Welt kämpfte.“ Und Bush-Herausforderer John Kerry sagte: „Selbst dann, wenn er den Demokraten das Herz brach, tat er es mit einem Lächeln und im Geiste einer ehrlichen und offenen Debatte.“
Umstritten bleibt seine Wirtschaftspolitik. Die Reaganomics – eine Rosskur aus Steuersenkung, Abschaffung von Sozialprogrammen, Deregulierung und Ankurbelung der Rüstungswirtschaft – sahen ihre ökonomischen Rezepte aufgehen, folgte doch ein langer ökonomischer Boom. Am Ende seiner Amtszeit stand jedoch ein zweifelhaftes Erbe: wachsende Armut, Erosion der Mittelschicht, ein riesiger Schuldenberg und ein irrwitziger Traum von einem unangreifbaren Raketenschutzschild im Weltraum, in den Milliarden versenkt wurden. Dennoch glauben viele Wirtschaftsexperten, dass Reagan auch den Grundstein für den Erfolg der Clinton-Jahre gelegt hat.
Außenpolitisch wird als sein Verdienst angesehen, mit dem Feldzug gegen den Kommunismus den Zusammenbruch der Sowjetunion und den Fall des Ostblocks beschleunigt, wenn nicht sogar ausgelöst zu haben. Wettrüsten und militärische Abenteuer werden retrospektiv als notwendige Bausteine für diesen Erfolg gesehen. Viele Kommentatoren sind der Ansicht, dieser historische Prozess hätte unter einem Präsidenten Jimmy Carter zumindest nicht so schnell stattgefunden. Einige weisen jedoch auch auf die Rolle der USA in Afghanistan hin, wo die militärische Unterstützung für die Mudschaheddin schließlich den Aufstieg des Terrorismus förderte.
Keine Zweifel hegt man an seinen Fähigkeiten als Kommunikator. Seine Hollywood-Karriere, lange als Hindernis betrachtet, entpuppte sich als sein größtes Plus. Während Europäer damals nicht verstanden, wie ihre Nachfahren jenseits des Atlantiks diesen von ihnen als einfältig betrachteten Schauspieler zum Präsidenten wählen konnten, verstand er es in seinen Reden, mittels Pathos die Bevölkerung für sich zu gewinnen, auch wenn sie selten von Tiefgang geprägt waren. „Er gilt als der effektivste Kommunikator seit Franklin D. Roosevelt und vielleicht sogar einer der drei besten überhaupt – Lincoln als Meister der geschriebenen Rede, Roosevelt als Meister der Radioansprache und Reagan als Meister des Fernsehens“, resümiert die Washington Post.
Ein Vermächtnis Reagans dürfte für die USA auch künftig schwer wiegen. Er hat es geschafft, unter vielen Amerikanern den Staat als regulierende Kraft zu diskreditieren. „Der Staat ist nicht die Lösung, sondern das Problem“, hämmerte er dem Land ein. Seine Kernphilosophie von Entstaatlichung, Deregulierung und Steuersenkung, der auch Bush rhetorisch huldigt, findet unter den meisten Konservativen nach wie vor uneingeschränkte Sympathie. Auch wenn Demokraten diese Politik teilweise übernommen haben, weisen Kritiker aus dem liberalen Lager darauf hin, dass die Verdammung staatlicher Regulation Wirtschaftsskandale wie die Enron-Pleite ermöglichten und die Attentate vom 11. September leichter ausführbar machten, da Flughafensicherheit und Einwanderungskontrolle sträflich vernachlässigt wurden.
Doch solche Gedanken sind gewagte Randnotizen. Harte Kritik an Reagan hat natürlich derzeit einen schweren Stand, jüngst wurde sie gar abgewürgt. So wollte der TV-Sender CBS im Herbst 2003 einen Dokumentarfilm über ihn ausstrahlen, der kritisch seine Präsidentschaft und den Einfluss seiner Ehefrau Nancy hinterfragt, machte aber nach Protesten prominenter Konservativer einen Rückzieher. MICHAEL STRECK