Eiserner Realismus

Nina Kraft ist Deutschlands beste Ironwoman. Dass Sponsoren das eher mäßig interessiert, stört die Braunschweigerin nur am Rande. Morgen startet sie in Frankfurt

FRANKFURT taz ■ Nina Kraft hat es sich zur Gewohnheit gemacht, die wichtigen Dinge des Lebens realistisch zu betrachten und nicht etwa schöngefärbt, bisher ist sie damit nicht schlecht gefahren. Im Sport zum Beispiel hat es die Frau aus Braunschweig gar zu einer der weltweit Besten ihres Fachs gebracht, erst letzten Oktober wurde sie Zweite beim Ironman auf Hawaii, dem berühmtesten und härtesten Triathlon-Wettbewerb der Welt. Dass sie selbst, obwohl im Vorjahr bereits Dritte geworden bei der mörderischen Schinderei auf Big Island, davon am meisten überrascht war, passt zu Nina Kraft, wie gesagt: Sie pflegt solche Dinge eher defensiv anzugehen. Wenn am Ende mehr bei rauskommt – umso besser.

Wobei: Viel mehr rausgekommen ist ja gar nicht, auch nicht nach dem größten Erfolg, den eine deutsche Dreikämpferin je erreicht hat. Im Gegenteil: „Nach meinem zweiten Platz sind sogar Sponsoren abgesprungen“, sagt die 34-Jährige, die Gründe dafür hat die gelernte Bauzeichnerin längst eruiert: „Die allgemeine wirtschaftliche Lage“ sei das eine, dass Triathlon „immer noch eine Randsport“ ist, das andere. Was da noch übrig bleibt, teilen sich hierzulande die Herren der Schöpfung, die Leders, Hellriegels und Zäcks. „Ich bin eine Frau, das macht’s noch schwieriger“, stellt Nina Kraft fest – und schiebt als Bestätigung der These gleich noch zwei Fragen hinterher. Erstens: „Wen interessiert Frauenfußball?“ Zweitens: „Was hat eine Firma davon, Nina Kraft zu sponsern?“ Manchmal kann es ganz schön hart sein, die Dinge so realistisch zu sehen.

Nina Kraft ist hart im Nehmen, sie ist ja eine Eisenfrau – und nicht nur bei der dreigeteilten Tortour über 226 Kilometer ist es bisweilen hilfreich, aus der Not eine Tugend machen zu können. „70 bis 80 Prozent meiner Einnahmen sind Startgelder und Siegprämien“, sagt die Braunschweigerin, die Folge daraus kommentiert sie mit einem Lächeln im stets sonnengebräunten Gesicht: „Wenn man gut ist, kommt da schon auch was zusammen. So bin ich wenigstens gezwungen, immer gut zu sein.“ So einfach ist das; man muss es nur realistisch sehen.

Realistisch gesehen ist es so, dass Nina Kraft den Zenit ihrer Karriere noch eine ganze Zeit nicht überschritten hat, trotz ihrer 34. Auf der Langstrecke, wo Erfahrung ein hohes Gut ist, muss das kein Nachteil sein, zumal die selbst für eine Ironwoman auffällig drahtig wirkende Frau erst vor sechs Jahren mit Triathlon begonnen hat. Davor war sie Schwimmerin, mit dem Laufen fing sie an, weil sie einen Ausgleich zur ewigen Kachelnzählerei im Schwimmbassin suchte, noch später kam dann Radfahren dazu. Und plötzlich war sie reif, die Zeit, für den ersten Triathlon. Auf Platz 25 kam Nina Kraft 1997 beim Ironman in Roth ins Ziel, 6. wurde sie schon im Jahr darauf. Seither hat es sich die 34-Jährige zur schönen Gewohnheit gemacht, ein großes Rennen nie schlechter zu beenden als im Jahr zuvor: In Roth folgten Platz 4 und 2 sowie zuletzt zweimal der Sieg; auf Hawaii steht sie mit den Plätzen 50, 16, 3 und schließlich 2 in der Statistik. Bei 9:12,41 Stunden steht ihre Bestzeit, es gibt nicht viele Frauen auf der Welt, die das zu leisten imstande sind.

Die Luft wird dünn in diesen Bereichen, Nina Kraft weiß das. Aber sie spürt auch, dass da manches noch nicht ausgereizt ist bei ihr und ihr Körper durchaus noch über Reserven verfügt. Die gilt es nun zu mobilisieren, im Triathlon ist das ein stetiges Tüfteln am Trainingsprogramm. „Ich versuche dabei sehr viel auf meinen Körper zu hören“, sagt Nina Kraft. Dem strengen Diktat des Pulsmessers will sie sich schon gleich gar nicht unterwerfen, auch ständige Formüberwachung per Leistungsdiagnostik ist ihr eher fremd. „Dazu bin ich einfach nicht der Typ“, sagt sie.

Ganz ohne den Rat der professionellen Trainingswissenschaft kommt aber auch die 34-Jährige nicht mehr aus, dafür ist sie mittlerweile einfach zu gut geworden. „Wenn ich noch weiter nach vorne will, muss das wohl sein“, hat Kraft erkannt – und sich in dieser Saison erstmals Hilfe von außen geholt: Der Trainingswissenschaftler Klaus Ludwig berät sie nun bei der Erstellung des Übungspensums, bisher hat sie das, in Absprache mit ihrem Freund und Betreuer Martin Malleier, in Eigenregie gemacht.

Neu hinzugekommen ist vor allem das Training auf der Bahn, Läufe zwischen 500 und 1.000 Meter, oft zehn bis zwanzig am Stück. Dass die 34-Jährige genügend Ausdauer für den Marathon hat, hat sie ausreichend unter Beweis gestellt, nun gilt es noch etwas mehr Speed zu gewinnen; bei 3:09 Stunden steht Krafts Marathonbestzeit, das scheint steigerungsfähig. Wie die neuen Trainingsreize angeschlagen haben, wird sich erstmals am Sonntag zeigen, wenn die Braunschweigerin beim Ironman Germany in Frankfurt an den Start geht. „Eigentlich würde ich das Rennen gerne gewinnen“, sagt Nina Kraft. Eigentlich ist das ein ziemlich realistisches Vorhaben. FRANK KETTERER