mein fast perfekter sommer (2) : JÖRN KABISCH über Urlaubsliteratur
Pfui! Piz-Buin-Flecken auf Leopold Bloom
Strandlektüre kann eine schwer wiegende Sache sein. Ich habe ein ganzes Regalbrett voll mit entsprechenden Exemplaren. Diese Bücher teilen ein Schicksal: Sie wurden jeweils kurz vor dem Sommerurlaub gekauft, aber dann nie gelesen. In chronologischer Reihenfolge des Einkaufs aufgezählt stehen da „Die Brüder Karamasow“ von Dostojewski, „Moby Dick“ von Herman Melville, „Joseph und seine Brüder“ von Thomas Mann, diverse Feuchtwanger-Bände und natürlich „Exodus“ von Leon Uris. Dabei fällt mir auf: Gibt es eigentlich Frauen, die Bücher über 1.000 Seiten schreiben?
Außerdem jedes Jahr im Angebot: „Ulysses“ von James Joyce, immer noch ein bisschen fettig von der ausgelaufenen Flasche „Piz Buin“ im Sommer 97, und „Die flüchtige Seele“ von Harold Brodkey. Tolstois „Anna Karenina“ habe ich inzwischen wieder ins Antiquariat gebracht. Aber dafür reiht sich bald „Korrekturen“ von Jonathan Frantzen ein. Wenn ich nicht aufpasse.
Diese Wälzer sind eine ständige Anklage in meinem Regal, ein unverdaulicher Kanon. Ich habe schon daran gedacht, mich eines Urlaubs in eine Eremitenklause irgendwo auf den Faröern zurückzuziehen. Keine Menschen, kein Wetter, keine Kneipen – in einer Wochen dürfte die Hälfte des Folianten doch mit ein paar Packungen Zwieback zu bewältigen sein. 60 Seiten die Stunde, 600 Seiten am Tag, 5.600 Seiten die Woche, macht vier Titel.
Wenn ich ehrlich sein darf: ein Albtraum. Wer bitte schön sagt, dass man im Urlaub Muße hat, das zu lesen, was man schon immer hätte lesen wollen, sollen, können. Ich hab’s versucht. Schon auf dem Rücken im Sand zu liegen, und ein halbes Kilo gegen die Sonne zu stemmen, um die Augen abzuschirmen: Das gibt ganz albernen Muskelkater. Und Piz-Buin-Flecken auf Leopold Bloom: Das kann man eigentlich niemandem erzählen. Die Bücher sollen doch bleiben, wo sie sind.
Es hat Jahre gebraucht, um zu dieser Einsicht zu kommen. Anfang der Neunziger am Ossiacher See hatte ich schon das dritte Mal den Dostojewski dabei, diesmal allein: Schwer genug, dick genug für sieben Tage, dachte ich, und: Du hast keine Alternative. Aber schon am zweiten Tag hatte ich genug: Ich kaufte mir ein Jerry-Cotton-Heftchen. Der Urlaub konnte beginnen.
Und seitdem grüßen FBI-Agent Jerry Cotton und sein Kollege Phil Decker jeden Sommer, egal ob auf Sizilien, an der Masurischen Seenplatte oder in einem Motel am Grand Canyon, wie der altbekannte Portier in Bad Reichenhall, wo meine Nachbarn seit Urzeiten Urlaub machen. Und wie der haben die G-Men in den vergangenen zwanzig Jahren nur ein paar graue Haare mehr. Sonst sind die Bösen immer noch die Bösen, das Preis-Leistungs-Verhältnis ist mit 1,35 Euro nach wie vor unschlagbar und der Mehrwert auch. Oder ist es unmoralisch, mit einem ausgelesenen Groschenroman eine kleine Bücherverbrennung zu veranstalten, um den Grill anzuwerfen? Und dabei soll niemand sagen: Ist ja eh Schund! Bei über 850 Millionen verkaufter Auflage.
Obwohl ich sagen muss: Nach drei oder vier Bänden steht einem der Sinn dann schon nach mehr. John Le Carre, Minette Walters und Håkan Nesser zum Beispiel. Und voriges Jahr habe ich sogar „Baudolino“ von Umberto Eco geschafft. Aber was hat mich nur geritten, gestern wieder den „Mann ohne Eigenschaften“ zu kaufen? Hoffentlich habe ich den Kassenzettel noch.