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Archiv-Artikel

Zwei Stunden leben, wie im Kino

Supergirls und Durchschnittsbürger, kriminalistische Puzzles und Texte zur Musik des Barock: Das österreichisch-schweizerische Theater- und Autorenduo Andreas Sauter und Bernhard Studlar versucht in jeder Geschichte eine eigene Form zu entdecken. Porträt eines hippen Doppels an den Computertasten

Die zwei schreiben ihre Texte von der ersten bis zur letzten Zeile zusammen

von CLAUDIA GASS

„Gerd. Ich habe heute kapiert, dass ich dich nie mehr so lieben werde wie jetzt. Scheißdreck.“ Diese Zeilen hinterlässt A. – in einem der zahllosen Briefe, angefangen und nie zu Ende gebracht, die ihrem Mann das Unfassbare erklären sollen. Dass sie ihrem eigentlich glücklichen Leben ein Ende gesetzt hat. Einfach so. Aus Liebe, wie sie schreibt.

Die namenlose A., eine junge Frau Ende 20, ist eine Figur aus der Schreibwerkstatt des Theater-Autorenduos Andreas Sauter und Bernhard Studlar. Seit sich der Österreicher Studlar, 30, und der Schweizer Sauter, 28, beim Studium „Szenisches Schreiben“ an der Universität der Künste in Berlin kennen gelernt haben, texten die Jungdramatiker im Duo – mit Erfolg. Gleich ihr erstes abendfüllendes Stück „A. ist eine Andere“, in dem sich vier der Selbstmörderin nahe stehende Menschen auf die Spurensuche nach ihren Motiven begeben, heimste im Jahr 2000 den renommierten Kleist-Förderpreis für junge Dramatiker ein und wurde inzwischen mehrfach aufgeführt. Auf sieben Stücke ist die gemeinsame Werkbiografie angewachsen. Ein Auftragsstück für das Stuttgarter Staatsschauspiel, wo die beiden als Hausautoren fungieren und jüngst – im fliegenden Wechsel auf die Regieseite – Jewgenij Grischkowez’ Monolog „Gleichzeitig“ inszenierten, entsteht gerade.

Im April 1998 hatte die damaligen Mittzwanziger eine gewisse Unzufriedenheit mit ihren Tätigkeiten und die Lust auf Veränderung nach Berlin gezogen. Geschrieben hatte Studlar, zuvor Dramaturg und Regieassistent in Wien, bis dahin noch nicht, Sauter, als freischaffender Regisseur, Autor und Schauspieler in Chur tätig, „ein bisschen“. Eine Karriere als Theaterautor hatte eigentlich keiner geplant.

Irgendwann einmal, aus dem Dialog heraus, über das Theater, über Gott und die Welt, habe man während des Studiums einfach beschlossen, es mit dem gemeinsamen Schreiben zu versuchen, erzählt Andreas Sauter. Und was sich eher so ergeben hatte, passte.

In der genauen Beobachtung ihrer ganz alltäglichen Umgebung finden Bernhard Studlar und Andreas Sauter ein unerschöpfliche Reservoir für so unterschiedliche Geschichten wie „A. ist eine Andere“, das Porträt eines Durchschnittsbürgers in „Fiege. Ein Stück ohne Geilheit“ oder „Unscheinbare Veränderung (Stabat Mater)“, das barocke geistliche Musik mit einem zeitgenössischen urbanen Lebensgefühl kontrastiert. Mit feinem Gespür filtern sie aus dem vordergründig Banalen das Besondere heraus. „Unsere Stücke haben immer eine Verankerung im Alltag“, erklärt Studlar. Die „Schnittstellen“, die Brüche, die entstehen, wenn etwa Gewalt oder Tod unmittelbar in die Alltagswelt einbrechen, das fasziniert die Autoren. „Wir nähern uns einem Thema über die kleinen Dinge“, führt Andreas Sauter aus, „und wollen damit auf etwas Größeres verweisen.“

Ganz nah am Puls ihrer Generation gelang dem Duo so mit seinem Debüt ein zeitgeistiges Porträt der Twentysomethings von heute – immer auf der Suche nach dem Glück, aber mit der Angst im Nacken, dass in der Idylle bereits die Mittelmäßigkeit lauert. „Vielleicht wäre es das Beste, wenn wir alle nur zwei Stunden leben, wie im Kino“, sinniert ihre Heldin A.

Die Diktion und den Sprachduktus von heute haben sie ihren mit viel Sympathie gezeichneten Figuren in diesem Stück in den Mund gelegt, ohne in eine plumpe Kopie zu verfallen. Mit der schnoddrigen Lakonik eines Philipp Marlowe versucht das Quartett der von A. Zurückgelassenen mit der Trauer fertig zu werden. „Ich hielt den Mund. Und den Kranz. Die ganze Fahrt. Die Urne zwischen den Beinen. Bongo fuhr wie ein Irrer“, berichtet Ehemann Gerd von der Fahrt zur unkonventionellen Beerdigungszeremonie. Ganz nonchalant verbinden die Autoren Tragik und Komik, Leichtigkeit und Tiefe. Und setzen unangestrengt Farbtupfer leiser Poesie in die realistische Erzählweise. „Der Alltag soll auf der Bühne einen Zauber bekommen“, so Studlar.

Auch was die Form ihre Stücke angeht, kennen Sauter & Studlar kein Dogma, experimentieren mit Strukturen und Erzählmodi. Dabei soll jedoch immer der Stoff die Form bedingen: „Die Geschichte gibt vor, wie wir sie erzählen.“ Während „A. ist eine Andere“ ein fast kriminalistisches, Dialoge weitgehend aussparendes Puzzle aus Erinnerungen und Briefen ist, verschmilzt „All about Mary Long“ Genres wie Popmusik, Comicstrip und Spionagethriller zu einem schrägen „Trashlibretto“. Uraufgeführt wurde dieser Streich von Sauter & Studlar, zu dem Gilbert Handler einen entsprechend gemixten Soundtrack komponierte, Anfang Mai beim Donaufestival Niederösterreich; die Übernahme ins Stuttgarter Theater Rampe steht in der nächsten Spielzeit an.

Konkrete Gestalt hat die Stückidee in den Köpfen des Duos auf die typische Studlar-Sauter-Art angenommen. Immer den Schalk im Nacken, aber das Wesentliche im Blick. Als ihnen die Schweizer Zigarettenmarke „Mary Long“ mit dem gezeichneten Frauenkopf auf der Packung auffiel, stand fest: „Wir schreiben die wahre Biografie dieser Frau.“ Und die liest sich reichlich grell und grotesk. Im kambodschanischen Dschungel blickt Maria Lang, alias Mary Long, auf ihr Leben zurück: Nachwuchs-Miss-Switzerland, Werbequeen, Doppelagentin – eben ein Supergirl der Bühne. Um die Weltherrschaft geht es auch noch. Will heißen, die vom Staatstheater Kassel 2001 mit einem Preis bedachte Radikalkomödie macht diesem Genre alle Ehre.

Sauter & Studlar kennen kein Dogma und experimentieren mit den Strukturen

Solch eine aberwitzige Story kann sich einer allein fast nicht ausdenken. Man sieht Sauter und Studlar förmlich vor sich, wie sie zusammen vorm Computer sitzen und sich – bildlich gesprochen – die Bälle zuwerfen. Und in der Tat schreiben die zwei ihre Texte von der ersten bis zur letzten Zeile zusammen, beim Tippen wechseln sie sich ab. Den Dialog, die persönliche Kommunikation nennt das Autorenduo als unerlässliche Basis der gemeinsamen Arbeit.

Das gilt nicht nur für trashige Komödien, sondern funktioniert auch bei ernsten Themen. Denn bei aller Leichtigkeit des (Autoren)seins haben die Jungdramatiker nichts mit postmodernem L’art pour l’art im Sinn. Auch die selbstbezogene Larmoyanz der Popliteraten liegt ihnen fern. Sauter und Studlar haben, anders als man es ihrer oft der Oberflächlichkeit und des Eskapismus bezichtigten Generation unterstellt, etwas zu gesellschaftlichen Belangen zu sagen. Mal feinhumorig, mal deftig überzeichnend erweisen sie sich diesbezüglich als so sensible wie scharfsinnige Kommentatoren – versteckt im Subtext und nicht mit platten Botschaften. So entlarven die absurden Worthülsen-Sperrfeuer der Figuren aus „All about Mary Long“ gleichsam en passant die Zynik der globalisierten Businesswelt. „Die Qualität eines Stücks liegt immer zwischen den Zeilen“, weiß Andreas Sauter.

Bis es konkret ans Schreiben geht, vergehen jedoch meist einige Monate. Ist die Idee für eine Geschichte gefunden, wird erst einmal recherchiert – für “A. ist eine Andere“ beispielsweise im Bestattungsinstitut, im Blumenladen, beim Lesen von gerichtsmedizinischen Gutachten – und diskutiert. Dann, erzählt Studlar, „geht’s meist recht zügig“.

Außerdem schreibt jeder noch solo. Bernhard Studlars „Transdanubia-Dreaming. Ein Stück Wien“, mit dem Autorenpreis des Heidelberger Stückemarkts 2001 ausgezeichnet, wurde kürzlich am Wiener Akademietheater uraufgeführt, Andreas Sauters „Liza“ am Schauspiel Nürnberg. „Wir haben immer das Gefühl, als wären wir drei Autoren“, lacht Sauter. Dass Bernhard Studlar vor einigen Monaten von Berlin wieder nach Wien gezogen ist, soll die einträchtige Autorenschaft nicht stören. Man plant gegenseitige Arbeitsbesuche. Die beiden verbindet eben, wie Studlar es ausdrückt, „die Lust am Geschichtenerzählen“.