: Proteste in Hongkong dauern an
Allgemeines Wahlrecht gefordert. Peking warnt Opposition vor „politischem Sturm“
PEKING taz ■ Hongkongs Regierungschef Tung Chee-hwa gerät weiter unter Druck: Zum zweiten Mal innerhalb von zehn Tagen versammelten sich in der Nacht zum Donnerstag zahlreiche Demonstranten im Zentrum der ehemaligen britischen Kolonie. Gekleidet in der Trauerfarbe Weiß forderten rund 50.000 Menschen den „Rücktritt Tungs“ und ein „Wahlrecht für alle Bürger“ der 7-Millionen-Metropole. Zudem tauchte in den Zeitungen des Festlands erstmals Kritik über den nach dem Ende der Kolonialzeit 1997 von Peking eingesetzten Politiker auf.
Tungs Verwaltung habe, so räumte die englischsprachige China Daily gestern ein, nach der Rückkehr Hongkongs „in die Arme des Mutterlandes“ vor sechs Jahren zahlreiche Probleme nicht bewältigt. Dazu zählte das Blatt „die traumatische wirtschaftliche Lage, sinkende Aktienkurse, ein schwer wiegendes Haushaltsdefizit und hohe Arbeitslosigkeit“.
Die politische Krise war aufgebrochen, nachdem 500.000 Demonstranten aus allen Teilen der Hongkonger Gesellschaft Anfang Juli gegen die Regierung protestiert hatten. Anlass war das umstrittene Sicherheitsgesetz, das bei Verrat, Subversion und Abspaltungsversuchen Bürgerrechte außer Kraft setzen sollte.
Der unerwartete Erfolg ihrer Proteste hat die Organisatoren, zu denen Bürgerrechtsgruppen ebenso wie die katholische Kirche gehören, überrascht – und ermutigt. Sie hoffen jetzt nicht mehr nur darauf, das Sicherheitsgesetz vollständig zu kippen. Sie setzen auch darauf, die Bevölkerung gegen das undemokratische System Hongkongs zu mobilisieren, das von Peking-freundlichen Tycoons und verborgenen KP-Zellen regiert wird, die ihre Anweisungen von den Genossen in Peking erhalten.
„Die Kundgebung zeigt, dass People Power stärker wird“, zitierten lokale Zeitungen gestern Richard Tsoi von der „Front der Bürger- und Menschenrechte“. Jeder könne jetzt verstehen, dass „selbst eine Regierung, die gewöhnt ist, das Volk vor den Kopf zu stoßen, es nicht mehr ignorieren“ könne, „wenn alle herauskommen und ihre Forderungen stellen“.
Besonders wichtig sei die Tatsache, dass viele Angehörige aus höheren Berufen und aus den Mittelschichten teilgenommen haben, erklärte der Rechtsanwalt und Vizevorsitzende der oppositionellen Demokratischen Partei, Martin Lee. Er hofft nun auf eine „große Koalition für ein allgemeines Wahlrecht“.
Das allerdings ist eine Horrorvorstellung für die KP in Peking, deren Zeitungen und Fernsehsender den Protest zunächst verschwiegen hatten. Doch nun hat sich die Propagandamaschine offenkundig von ihrem Schrecken erholt. Die China Daily warnte die stets in Anführungszeichen gesetzten „Demokraten“ Hongkongs davor, zu weit zu gehen und einen „politischen Sturm“ zu entfachen, der die Hongkonger Verwaltung lähmen und in eine Regierungskrise stürzen würde. Dies würde „unweigerlich die soziale Stabilität und die wirtschaftliche Erholung“ der Sonderverwaltungsregion gefährden. JUTTA LIETSCH