: USA planen Kehrtwende
Donald Rumsfeld, der etwas ratlos wirkende Pentagonchef, macht auf der Suche nach Auswegen im Irak neue Vorschläge
aus Washington MICHAEL STRECK
Die Anzeichen mehren sich, dass innerhalb der US-Regierung und im Kongress ein Umdenken stattfindet, was den Umgang mit der Nachkriegssituation im Irak angeht. Notgedrungen. Der von Präsident Bush einst verbreitete Optimismus hinsichtlich einer friedlichen Transformation des Irak hat sich als Wunschdenken erwiesen. Fast täglich werden US-Soldaten getötet. Familienangehörige, deren „Jungs“ seit Monaten im Irak kämpfen und stationiert sind, sind frustriert und fühlen sich betrogen, da die versprochene Rückkehr in die Heimat ungewiss bleibt. Bei vielen GIs ist die Moral daher auf dem Tiefpunkt angelangt. Kongressabgeordnete werden mit Bittbriefen von der Front überschüttet, die Truppen zu verstärken und auszuwechseln. Und zu alldem geht das Gespenst „Vietnam“ um.
US-Generäle beharren zwar darauf, dass ihre Truppen im Irak nicht in Guerillakämpfe verwickelt sind, doch Militärexperten erkennen im wachsenden und organisierten Widerstand längst einen Untergrundkrieg. Der republikanische Senator Pat Roberts kehrte jüngst von einem Besuch in Bagdad zurück und spricht seither offen von einem Antiguerillakampf.
Angesichts dieser prekären Situation werden jene Stimmen immer lauter, die eine nüchterne Bestandsaufnahme und eine Kurskorrektur fordern. Unter wachsendem Druck räumte Bush zumindest ein, dass mit „einer massiven und langen Operation“ im Irak zu rechnen sei.
Senator Edgar Lugar, führender republikanischer Außenpolitiker, wurde konkreter. Er rechnet mit mindestens fünf Jahren Stationierungsdauer. Pentagonchef Donald Rumsfeld, der am Mittwoch von Kongressabgeordneten ins Kreuzverhör genommen wurde, gab schließlich zu, was alle längst ahnten und dennoch großes Unbehagen unter den Parlamentariern verbreitete: Mindestens 150.000 US-Soldaten müssten für die „absehbare Zukunft“ im Irak bleiben. Der Einsatz koste monatlich rund 4 Milliarden Dollar, doppelt so viel wie bislang veranschlagt.
Rumsfeld selbst ist vielleicht das beste Barometer für den sich abzeichnenden politischen Wetterumschwung. Aus dem raubeinigen und um eine Antwort nie verlegenen Verteidigungsminister ist ein eher nachdenklicher und manchmal auch ratloser Mann geworden. Auf der Suche nach Auswegen im Iak macht er bemerkenswerte Vorschläge. Einer, von der Öffentlichkeit wenig wahrgenommen, kommt einer Kehrtwende gleich. Er wünsche sich, „ein Kader von Leuten aus aller Welt anzuführen oder zu einer Truppe beizutragen, die an friedenserhaltenden Einsätzen teilnimmt“, sagte er vor wenigen Tagen. Nach seiner Vorstellung sollten die USA eine internationale Peacekeeping-Truppe „trainieren, ausrüsten und organisieren“. Er gab zu, dass vor dem Irakkrieg eine Friedenstruppe hätte einsatzbereit sein müssen. Erste Konsequenz aus dieser Einsicht: Das hausinterne Peacekeeping-Institut des Pentagons wird nicht, wie ursprünglich angekündigt, aufgrund mangelnden Interesses geschlossen.
Kein Wunder, dass die Militärs nach Alternativen suchen. Das Pentagon fühlt sich überfordert. „Nachdem Bush seinem Vorgänger Bill Clinton stets vorwarf, den Einsatz von US-Streitkräften im Ausland immer weiter auszudehnen, macht er exakt das Gleiche, nur in viel größeren Ausmaß“, sagt Michael O'Hanlon vom Brookings-Institut, einem liberalen Think-Tank. Die Kapazitätsgrenze sei erreicht. „Der einzige Weg, unsere Truppen zu unterstützen, ist, die Nato um Hilfe zu bitten und die Beziehungen zu Frankreich und Deutschland zu reparieren. Besatzung und Wiederaufbau des Irak müssen internationalisiert werden“, mahnt die Washington Post.
Diese Einsicht dämmert auch US-Politikern. Der Senat forderte Bush am Donnerstag formell auf, die Nato um Unterstützung zu ersuchen. Joseph Lieberman, demokratischer Senator und Befürworter des Irakkriegs, drängt auf die unverzügliche Bildung einer irakischen Übergangsregierung. Eine Internationale Monitoring-Agentur solle zudem sicherstellen, dass die Erlöse aus der Ölproduktion Bagdad tatsächlich zufließen.
Auch die ungeliebten Vereinten Nationen und die Franzosen werden plötzlich in Washington wieder salonfähig. Für kommende Woche hat Bush UNO-Generalsekretär Kofi Annan ins Weiße Haus geladen. Frankreich, so wird laut nachgedacht, könne doch die Wasserversorgung im Irak wieder reparieren, schließlich habe das Land die Infrastruktur maßgeblich aufgebaut. Und auch nach Geld, Soldaten und Expertise aus Deutschland wird geschielt.
Wenn sich das Weiße Haus Pat Roberts Einschätzung zu Eigen macht, wonach „die nächsten hundert Tage über den Erfolg im Irak entscheiden“, der Guerillakrieg weiter eskaliert, US-Soldaten weiterhin sterben und Bush sich immer neuen Vorwürfen ausgesetzt sieht, in der Frage der Kriegslegitimation gelogen zu haben, darf man gespannt sein, zu welchen Befreiungsschlägen die US-Regierung ausholen wird.