: Wüste mit Sumpf und Eis
Indigoblaue Kacheln am Sternschanzen-Bahnhof: Sabine Mohrs Landkarte „Où? – Wo? –Where?“ leitet in die Irre und stellt die Frage nach individueller Verortung neu
Eigentlich ist es eine kleine Arche Noah. Eine Ansammlung von Landschaftsformationen, die, wenn die Erde endlich zur erodierten Marslandschaft geronnen ist, letzte Reminiszenz an vergangene Vielfalt sein werden. Und doch sieht Sabine Mohrs Kachelwand, soeben am Bahnhof Sternschanze eingeweiht, zunächst wie eine real existierende Landkarte aus, die Wüsten, Gebirge, Flüsse und Inseln ausweist.
Im französischen Lexikon Nouveau Petit Larousse Illustré von 1924 hat die Hamburger Künstlerin die Zeichnung gefunden. Où? Wo? Where? lautet der Titel der Kachelwand, die Ortungsversuche zugleich provoziert und ins Leere laufen lässt. „Auf den ersten Blick wirkt das alles sehr vertraut, bis man merkt, dass es einen Ort, an dem Wüsten und Gletscher nebeneinander liegen, unmöglich geben kann“, sagt Sabine Mohr. Eine utopische Landschaft ist so entstanden, in der noch nicht entschieden ist, ob Wüste oder Wasser dereinst siegen werden.
Dabei ist der Ursprung der Zeichnung ganz profan: Irgendein Wissenschaftler hat vermutlich die Phantasie-Karte gezeichnet, die ausschließlich der Illustration dienen sollte und erst im Nachhinein poetische Qualitäten offenbart – sowie einige Inkonsequenzen, die sich demjenigen erschließen, der versucht, dem Gefälle der Wasserläufe zu folgen. Aber was macht das schon angesichts der Tatsache, dass sie mit Begriffen spielt, mit denen jeder etwas assoziiert und die zum Fabulieren verleiten? Hochmoderne Verdichtung – Inseln, Wüste, Klippen und Buchten wurden quasi-filmerisch zusammengeschnitten – verbindet Sabine Mohr dabei mit traditionellen Techniken: Im Indigoblau der Delfter Kacheln hat sie die Wand gestaltet, die sich organisch in den Schanzenbahnhof-Torbogen des 19. Jahrhunderts einfügt. „Dieser Bahnhof ist ein Passage-Ort mit bunt gemischter Bevölkerung, an dem die Frage ,Wo‘ beziehungsweise ,Wohin‘ ohnehin in der Luft liegt“, sagt die Künstlerin.
Doch in Verweisen auf Ikonographie voriger Jahrhunderte verweilt die Karte, die durch eine Wörterbuch-Wand im benachbarten Torbogen ergänzt wird, nicht: Unter www.neu.cu-ba.de kann man den zugehörigen Internet-Auftritt aufrufen und die topographischen Begriffe anklicken, die befreundete Künstler und Wissenschaftler illustriert haben. „Die Assoziationskette geht weiter. Und natürlich die Geschichte dieser Karte“, sagt Sabine Mohr. PS