Techno-Insider fliehen zum Outdoor-Tänzchen

An einem See im Umland raven 1.500 Techno-Fans – ungestört vom Love-Parade-Rummel. Das stört die Nachbarn

Es ist ein Märchenschloss. Neonfarben leuchten die Fenster, und von der zwiebelförmigen Turmspitze zucken ab und an weiße Blitze auf den von Bäumen umrahmten kleinen See. So muss es wohl gewesen sein – das Land Gondwana, als vor Abermillionen Jahren alle Kontinente in einer Landmasse vereint waren.

Zumindest können es sich so die rund 1.500 Techno-Fans vorstellen, die am Wochenende vor der Love Parade flüchteten um ihre Outdoor-Party, die „Nation of Gondwana“, auf Schloss Dammsmühle, 20 Kilometer nördlich von Berlin, zu feiern. Immerhin 18 Euro Eintritt kostet die Zweitageparty, die seit Jahren traditionell am Paraden-Wochenende stattfindet. Im Eintritt enthalten ist die Erlaubnis, ein Zelt aufzustellen und Dixi-Klos zu besuchen. Geboten werden ansonsten das Lichtspektakel aus dem verfallenen Schloss, das jüngst für einen Euro an einen Investor verkauft worden sein soll, und vor allem aber eines: Musik, Musik, Musik.

Mit einer kurzen Ausnahme. Denn überall, wo viele Menschen laut gemeinsam feiern, gibt es welche, die das stört. Das ist im Tiergarten nicht anders als im Vorort – hier: Buchenwald. Weil sich eine Anwohnerin beschwert hat, gehen gegen 4.30 Uhr am Sonntagmorgen die Boxen aus. Für manche, die sich nach durchtanzter Nacht schon längst auf den Weg in den Schlafsack machen wollten, ein willkommener Anlass, dies endlich zu tun. Für andere, denen es immer noch schwer fällt, zur Ruhe zu kommen, eine Gelegenheit, Steinchen in den See zu werfen.

Doch schon eineinhalb Stunden später ist in der „Nation“ wieder alles so, wie es sein muss. „Um 6 Uhr ist die geschützte Nachtruhe vorbei“, argumentieren die Veranstalter. Die Boxen dröhnen erneut los, wenig bekleidete Menschen zappeln über eine staubige Tanzfläche, und die in den Schlafsäcken drehen sich nochmal um, bevor auch sie sich zum Frühsport in die tanzende Masse reihen werden. Dann werden sie erfahren, dass es auch tolerante Anwohner gibt. „Wir wohnen sechs Kilometer weiter, haben die ganze Nacht das Spektakel gehört“, sagt eine Mittfünfzigerin, die mit ihrem Mann hergeradelt ist, um Techno nicht nur im TV, sondern live zu sehen: „Uns macht das nichts aus. Lärm sind wir gewohnt, wir wohnen an einem Bahndamm.“

Die Partydrogenvertriebskanäle müssen an diesem Wochenende auch am Umland vorbeigeflossen sein. Zwar hüpfen einige sehr wild über die Tanzflächen, aber wer länger auf der Wiese liegt, bekommt des Öfteren Besuch von Passanten, die immer wieder eine Frage stellen: „Habt ihr Teilchen dabei?“ Das bedauernde Kopfschütteln wird meist mit einem trotzdem dankbaren Lächeln quittiert, und die Suche geht weiter. Und so fährt Sonntagabend der Party-Rest nach Berlin zurück, glücklich, die Love Parade verpasst zu haben. Im kommenden Jahr erzählen sie sich dann die Geschichten dieses Juliwochenendes und freuen sich auf die nächste Party – nicht umsonst, aber draußen.

RICHARD ROTHER