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Archiv-Artikel

Der Staat soll’s jetzt richten

Kapitalfinanziertes Schweizer Rentensystem in der Krise. Der Börsencrash ließ die Anlagevermögen schrumpfen. Die Gewinne der fetten Jahre sind versickert. Verluste durch Wertpapier-Investitionen

Wenn es immer mehr Rentner gibt und immer weniger Beitragszahler, soll die private Altersvorsorge die Deutschen dereinst vor Altersarmut bewahren. Doch die Schweizer müssen zurzeit erleben, dass auch ihre kapitalfinanzierte Rente nicht sicher ist. Der Börsencrash hat ihren Pensionskassen übel mitgespielt.

Das Rentensystem der Eidgenossenschaft fußt schon seit 1985 neben der staatlichen Rente als „1. Säule“ auf einer kapitalfinanzierten Rente. Diese „2. Säule“ soll mehr als die Hälfte der Gesamtrente sichern. 90 Prozent der Arbeitnehmer und deren Arbeitgeber zahlen Geld in eine Pensionskasse. Die großen Betriebe verwalten diese selbst, kleinere Betriebe schließen sich in Branchenstiftungen zusammen oder überlassen großen Versicherungskonzernen wie „Winterthur“ oder „Zürich“ die Vermehrung der Gelder am Kapitalmarkt.

Bis vor kurzem wurde das Pensionskassenkapital noch mit gesetzlich vorgeschriebenen 4 Prozent verzinst. Der Beitragszahler erhielt regelmäßig einen Bescheid, der ihn über die voraussichtliche Höhe seines „Endaltersguthabens“ informierte. Vorausgesetzt, der Zinssatz würde sich nicht ändern. Nach dem Platzen der New-Economy-Blase und dem Absturz der Börsen ist jedoch genau das passiert. Die Verwalter der Pensionskassen hatten an den Aktienmärkten erhebliche Vermögen verloren und setzten beim Gesetzgeber durch, dass die vorgeschriebene Mindestverzinsung der Beiträge von 4 auf 3,25 herabgesetzt wurde. Angesichts der aktuellen Verfassung der Finanzmärkte sei jedoch auch diese Rendite nicht mehr zu erzielen, klagen die Versicherer.

Mit ihrer Lobbyarbeit und mit der Drohung, ganz aus dem Pensionskassengeschäft auszusteigen, haben sie erreicht, dass der Schweizer Bundesrat nach der Sommerpause die Mindestverzinsung auf 2 Prozent herabsetzen wird. Das Endaltersguthaben eines Versicherten vermindert sich dadurch nach einer vereinfachten Berechnung des Bundesamts für Sozialversicherung um ein Viertel.

Besonders sauer über die Herabsetzung des Mindestzinssatzes sind die Schweizer angesichts der Tatsache, dass mit ihren Geldern während der 90er-Jahre mittlere Renditen von über 6 Prozent erzielt wurden, sie selbst davon jedoch wenig gesehen haben. Der Basler Sozialdemokrat und Rentenexperte Rudolf Rechsteiner wirft den Lebensversicherern vor, sie hätten die erzielten Kapitalerträge nur teilweise an die von ihnen verwalteten Sammelstiftungen kleinerer Betriebe weitergegeben. Erhebliche Beträge seien „still und leise“ für Dividendenerhöhungen, Aktienrückkäufe und Management-Entschädigungen abgezweigt worden oder als Verwaltungskosten versickert. Reserven für magere Jahre wurden während der Börsenhausse nur von einem Teil der Kassen gebildet.

Um angesichts der geschrumpften Renditen am Kapitalmarkt auch in Zukunft im Pensionsgeschäft Gewinne zu erzielen, setzen die Versicherungskonzerne neben der Herabsetzung des Mindestzinssatzes auf die Herabsetzung des „Umwandlungssatzes“. Bisher lag der Umwandlungssatz auf das angesparte Kapital bei 7,2 Prozent. Bei einem Endaltersvermögen von 100.000 Franken hatte der Versicherte damit einen Anspruch auf eine jährliche Rente von 7.200 Franken. Doch auch am Umwandlungssatz wird jetzt geschraubt.

Die Winterthur, die 18 Milliarden Franken von 500.000 Versicherten verwaltet, erhielt vom Bundesamt für Privatversicherungen bereits die Genehmigung, den Umwandlungssatz im überobligatorischen Teil von 7,2 auf 5,8 bei Männern und auf 5,4 Prozent bei Frauen zu senken. Andere Versicherer ziehen nach. Gering erscheinende Manipulationen am Umwandlungssatz haben auf die Höhe der künftigen Renten beträchtliche Auswirkungen: Für eine Winterthur-Versicherte mit 40 Prozent ihres Kapitals im Überobligatorium reduziert sich der gemittelte Umwandlungssatz um 0,6. Ihre Rente vermindert sich damit jedoch um 10 Prozent. Die Herabsetzung des Gesamtumwandlungssatzes um zwei Prozent hätte nach Berechnungen des Bundesamtes für Sozialversicherungen eine Kürzung der Rente um ein Viertel zur Folge. Neben vielen anderen Kassen kämpfen seit dem Börsenabsturz auch die Pensionskassen der ehemaligen Staatsbetriebe SBB, Swisscom und Post mit einer massiven Unterdeckung. Ihren Auszahlungsverpflichtungen gegenüber den Versicherten könnten sie nicht mehr nachkommen.

Die SBB verlor in den Jahren 2002 und 2003 knapp 2,7 Milliarden Franken Vermögen, bei der Pensionskasse der Postler klafft eine Deckungslücke von 1,9 Milliarden Franken. Da diese Kassen erst vor wenigen Jahren vom Staat in die Selbstständigkeit „entlassen“ wurden, machen sie jetzt beim Bund Ansprüche aus „alten Verpflichtungen“ geltend. Zusammen mit den 12 Milliarden, die der Bund an die eben erst ausgegliederte Kasse für Staatsangestellte „Publica“ abdrücken muss, summieren sich die Begehrlichkeiten der vormals staatlichen Pensionskassen auf bis zu 18 Milliarden Franken. Den Steuerzahler macht es nicht gerade glücklich, dass er neben höheren Beiträgen zur Sanierung seiner eigenen Kasse jetzt auch noch für die Sanierung der Beamtenkassen aufkommen darf. ANITA MERKT