„Es geht ja um Liebe“

Der Türkische Bund beteiligt sich erstmals an einer Kampagne für homosexuelle Türken. TBB-Specherin Eren Ünsal gibt zu, dass man sich bisher viel zu wenig damit befasst habe. Nun würden Lesben und Schwule nicht mehr allein gelassen

taz: Frau Ünsal, der TBB widmet sich einem Tabu in der türkischen Community – dem der Homosexualität von MuslimInnen. Die Plakataktion „Kai ist schwul – Murat auch!“ machen Sie zu Ihrer Sache. Weshalb?

Eren Ünsal: Wir haben erkannt, dass wir uns mit diesem Thema viel zu wenig befasst haben. Zwar haben wir uns immer mit Diskriminierung beschäftigt, aber nur mit jener, die mit der Herkunft zu tun hat.

Woher der Sinneswandel?

Seit wir voriges Jahr das Antidiskriminierungsnetzwerk gegründet haben, hatten wir auch Kontakt zu Gruppen wie den LSVD, Gladt und Projekten wie Miles. Die haben uns ihr Leid geklagt – dass es für türkischstämmige Schwule und Lesben eine besondere Problemlage gibt.

Warum hapert es mit der Akzeptanz in der türkischen Community besonders?

Mit der ethnischen Herkunft hat die fehlende Akzeptanz nichts zu tun. Aber ich will nicht leugnen, dass die muslimische Community ziemlich die Augen verschlossen hat vor diesem Thema.

Das schwule Gewalttelefon bilanziert, dass Aggressionen gegen Schwule häufig von muslimisch geprägten Männern ausgehen. Warum ist das so?

Muslimisch ist nicht automatisch mit türkisch gleichzusetzen, das will ich zunächst sagen. Es gibt zwei Dimensionen des Problems. Einmal die soziale Dimension. In Marzahn oder Hohenschönhausen gibt es auch Übergriffe auf Schwule und Lesben, auf alles, was fremd scheint.

Schieben Sie das spezielle Problem nicht in den Osten ab?

Nein, natürlich hat das Problem auch eine Dimension, die mit dem Islam zu tun hat. Das zu verleugnen würde bedeuten, an der Sache vorbeizureden.

Und was sagen Sie zur Sache?

In der Theorie sagen die einen, alles, was nicht der Fortpflanzung in einer Ehe dient, sei Todsünde. Andere meinen, Homosexualität sei vereinbar mit dem Islam.

Und in der Praxis?

Lehnt der Islam Homosexuelles strikt ab.

Weshalb?

Das hat was mit einer Idee von Gesellschaft zu tun. Wie weit hat sich eine Gesellschaft vom feudalen System entfernt und entwickelt sich zu einer Industriegesellschaft, in der Individualisierung viel eher möglich ist? Die Familientradition fortzuführen war früher für das Überleben existenziell wichtig.

Viele dieser uralten Werte überleben bis heute …

… und alles ist im Fluss. Die Türkei wird westlicher – und damit sind Fragen neuer Werte wichtig. In einem anatolischen Dorf aber ist es nach wie vor wichtig, Familie und Kinder zu haben.

Wie wollen Sie die Situation der türkischstämmigen Lesben und Schwulen verbessern?

Indem wir das Problem überhaupt erkennen, uns an der Plakataktion des LSVD beteiligen und Aufklärungsarbeit fördern.

Zum TBB gehören auch Fußballvereine – Spielplätze heterosexueller Mannesinitiation.

Auch dort versuchen wir, die Plakate zu platzieren. Weshalb sollte es keine schwulen türkischstämmigen Fußballer geben?

Und wenn es denn nur Lippenbekenntnis bleibt: Werden Sie kontrollieren, ob alle Teile des TBB mitmachen?

Das schaffen wir nicht, wir können nur werben – und sind keine Gesinnungspolizei. Dass das Thema nicht wieder zum Tabu wird, ist doch klar, wir sind ja zäh. Das geht natürlich nicht ohne die Lesben und Schwulen: Die wollen wir ermutigen – aber sie müssen auch Druck machen. Wir lassen sie jetzt nicht mehr allein.

Wenn Sie ein homosexuelles Kind hätten, würden sie zu dessen Hochzeit gehen?

Klar.

Das sagen Sie doch nur so?

Nein, das hab ich mir gut überlegt. Das wäre mir eine Sache des Herzens. Es geht ja um Liebe. Und da kann ich nicht nach den Geschlechtern der Verliebten fragen. INTERVIEW: JAN FEDDERSEN