frisches flimmern
: Von Antihelden und Sackgassen

Die Protagonisten in diesen drei ungewöhnlichen Filmen sind irre, verloren oder einfach nur klein. Sie werden zu Antihelden im positiven Sinne. In allen Streifen bleibt am Schluss die Hoffnung auf einen Neuanfang.

Fremd?

Dönerbuden und türkische Tante-Emma-Läden sind inzwischen übliche Bestandteile einer Stadtlandschaft. Doch das Leben der jungen Generation von Einwandererkindern ist meist noch weit von Normalität entfernt. Der neue Film „Kleine Freiheit“ des in Hamburg lebenden Filmemachers Yüksel Yavuz („Aprilkinder“) erzählt von den Schwierigkeiten heutiger MigrantInnen in Deutschland. Im Mittelpunkt seiner Geschichte steht der 17-jährige Kurde Baran (Cagdas Bozkurt). Die Eltern wurden in der Türkei ermordet. Er lebt ohne Aufenthaltsgenehmigung in Hamburg nahe der Reeperbahn und arbeitet als Bote für einen Döner-Imbiss. Sein Freund ist der Afrikaner Chernor (Leroy Delmar). Ein kleiner Gelegenheitsdealer, der sich auch illegal in Deutschland aufhält. Als plötzlich der Kurde Selim (Necmettin Cobanoglu) auftaucht, den Baran für den Verrat an seinen Eltern verantwortlich macht, will er sich rächen. Doch dann wird auch Chernor verhaftet. Die Situation eskaliert.

Yavuzs Filme gehören neben Fatih Akin („Gegen die Wand“) zum jungen herausragenden Kino zwischen den Kulturen. Sie erzählen von der Heimatlosigkeit der verlorenen Einwanderer-Generationen und ihrer Suche nach Identität. Der kurdischstämmige Regisseur Yavuz schildert seine, mit Laiendarstellern besetzte Geschichte aus der subjektiven Sicht von Baran, der immer eine kleine digitale Kamera dabei hat.

Irre?

In David Cronenbergs Filmen („eXistenZ“) sind es oft Parasiten oder Mutationen, die dem Menschen seine Individualität rauben. Diesmal ist es die menschliche Psyche selbst, die den Protagonisten entfremdet. Der kanadische Regisseur nimmt in seinem neuen Werk „Spider“ den Zuschauer mit auf eine Reise in die Schizophrenie: Dennis „Spider“ Cleg (Ralph Fiennes) wird aus der psychiatrischen Anstalt entlassen und soll in einem Übergangsheim auf die Wiedereingliederung in die Gesellschaft vorbereitet werden. Er kehrt an die Stätten seiner Kindheit in London zurück. Traumatische Erlebnisse werden wachgerufen, auch der Mord an seiner geliebten Mutter (Miranda Richardson) durch den eigenen Vater (Gabriel Byrne). Spider erlebt noch einmal die verdrängte Hölle seiner Jugendzeit. Unaufhörlich murmelnd kritzelt er unlesbare Zeilen in ein kleines Notizheft. Er will Ordnung in seine Gedanken bringen, doch Cleg ist nicht in der Lage, zwischen der Realität und den eigenen Vorstellungen zu unterscheiden. Auch das heruntergekommene Londoner Arbeiterviertel, in dem der Film spielt, scheint Clegs Phantasie zu entspringen. Er spinnt sich ein Gesamtbild und erkennt den wahren Grund seines Leidens.

In seinem Psychothriller projiziert Regisseur Cronenberg die Gedankenwelt des schizophrenen Dennis Cleg auf die Leinwand. Mit Verspätung kommt „Spider“ (2002) in die heimischen Kinos. Der verstörende Kunstfilm wird viele Erwartungen enttäuschen. Er verzichtet auf optische Schockeffekte, der Horror liegt in der suggestiven Macht der Bilder. Cronenberg macht kein Kino für das Popcorn-Publikum.

Verloren?

Kleinwüchsige Schauspieler in einer Hauptrolle sind ungewohnt und äußerst selten. Tom Mc Carthy erzählt in seinem Spielfilmdebüt „Station Agent“ die Geschichte des kleinwüchsigen Finbar McBride (Peter Dinklage). Er ist nur 1, 30 Meter groß und repariert in einem Spielzeugladen Modell-Eisenbahnen. Als sein Chef und einziger Freund stirbt, erbt er dessen ehemaliges Bahnwärterhäuschen in der einsamen Provinz von New Jersey – scheinbar der ideale Rückzugsort, an dem Finbar seine Ruhe finden will. Doch auch hier wird er zur Attraktion. Jugendliche fragen ihn, wo denn Schneewittchen sei, während ältere Damen das neue Schauobjekt gerne fotografieren. Bedrängt wird Finbar auch vom nervigen Joe (Bobby Cannavale), der ständig mit seiner rollenden Imbissbude vor seinem Bahnhäuschen hält. Und von der unglücklichen Malerin Olivia (Patricia Clarkson), die bei einem Unfall ihren achtjährigen Sohn verloren hat. Sie kümmert sich um Finbar, seit sie ihn beinahe mit dem Auto umgefahren hat. Alle drei Außenseiter fühlen sich von der Gesellschaft isoliert. Doch allmählich freunden sie sich an.

Tom McCarthy erzählt seine Außenseiter-Geschichte auf einfache Weise und mit Witz. Sie handelt von Freundschaft und Einsamkeit, Toleranz und Lebensfreude. Er inszenierte sein ruhiges Drama ohne ein plattes, vorhersehbares Happy End. Doch es bleibt die Hoffnung auf einen Neuanfang. Die Isolation der Figuren wird durchbrochen. Die vorbeirasenden Züge werden zum Symbol für den Aufbruch. Auf dem Sundance-Filmfestival erhielt „Station Agent“ gleich die Preise als Bester Film, für das Beste Drehbuch und die Beste Darstellerin. Patricia Clarkson war zuletzt in „Ein Tag mit April Burns“ zu sehen.

STEFAN ORTMANN