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Archiv-Artikel

Vom bösen V-Wort redet keiner

Der irakische Regierungsrat hat einige Kompetenzen, das letzte Wort aber bleibt dem US-Beauftragten Paul Bremer. Das Wort „Vetorecht“ fällt nicht

aus Bagdad INGA ROGG

Am Ende kamen sie Saddam doch noch zuvor. Nur einen Tag bevor im Irak eine Reihe von Feiertagen ansteht, mit denen das Saddam-Regime alljährlich seine Herrschaft inszenierte, wurde am Sonntagnachmittag in Bagdad ein irakischer Regierungsrat aus der Taufe gehoben.

„Das ist das Ende von Saddams Regime“, sagte der schiitische Geistliche Said Mohammed Bahr al-Ulum. „Saddam liegt auf dem Müll der Geschichte, und von dort wird er auch nicht wieder zurückkehren.“

Neben namhaften Vertretern der ehemaligen Exilopposition und Kurden, die in den letzten zwölf Jahren in Kurdistan bereits eine Gegenregierung bildeten, gehören dem Rat vor allem bislang unbekannte Gesichter an. Angesichts der jahrelangen Repression sei das auch kein Wunder, sagte Nasir Kamel al-Chaderji von der Nationaldemokratischen Partei, der selbst das Land nie verlassen hat. Von den 25 Ratsmitgliedern sind 13 Schiiten, jeweils 5 arabische Sunniten und Kurden; zudem gehören ihm ein Christ und eine Turkmenin an. Neben der turkmenischen Ingeneurin Songul Chapuk aus Kirkuk sind zwei weitere Frauen in dem Rat vertreten.

Damit repräsentiert der Rat das ethnische und religiöse Mosaik des Zweistromlandes. Vor allem an die schiitische Mehrheit des Landes ist das eine wichtige Botschaft. Nach Jahren der erbarmungslosen Verfolgung und Ausgrenzung ist sie erstmals in der Lage, auf die künftigen Geschicke des Zweistromlandes Einfluss zu nehmen. Neben den beiden Fraktionen der islamischen Dawa-Partei, dem Chef des Hohen Rats für die Islamische Revolution im Irak (Sciri), Abdulasis al-Hakim, und Said Mohammed Bahr al-Ulum von schiitischen Hilfsorganisation Ahl al-Bayt, sind aber vor allem säkular orientierte Schiiten in dem Rat vertreten.

Der Bildung des Rats waren zähe Verhandlungen mit dem Chef der angloamerikanischen Ziviladministration, Paul Bremer, vorausgegangen. Dieser wollte dem Gremium ursprünglich nur eine beratende Funktion gewähren. Kurzerhand hatte er nach seinem Amtsantritt im Mai die Gespräche mit dem von sieben ehemaligen Oppositionsparteien gebildeten Führungsrat abgebrochen und kündigte die Ernennung eines Verwaltungsrats mit eingeschränkten Kompetenzen an. Verprellt hatte er damit auch die wichtigsten Verbündeten der Koalition im Irak, die beiden kurdischen Parteichefs Massud Barsani und Jalal Talabani.

Aber auch die schiitischen Geistlichen um die Hausa, das Gelehrtenseminar in Nadschaf, reagierten erbost. Ende Juni veröffentlichte ihr Primus inter Pares, Ajatollah Ali al-Sistani, ein Fatwa (Rechtsgutachten), das sich gegen die Ernennung eines Rats durch die Koalition aussprach. Obwohl eines solches Gutachten nicht bindend ist, hat es doch enorme Bedeutung für die Haltung der religiösen Parteien.

Durch Vermittlung des UN-Sondergesandten für den Irak, Sergio Vieira de Mello, hat Bremer dem jetzigen Regierungsrat schließlich einige Kompetenzen eingeräumt. Er kann Minister ernennen und abberufen, ist an der Auslegung des Haushalts für das kommende Jahr beteiligt und kann geltende Gesetze überarbeiten. Zwar wird Bremer weiterhin das letzte Wort in allen Entscheidungen haben, doch muss er dabei den Kompromiss mit den Ratsmitgliedern suchen. Alle Seiten vermieden es denn auch, das böse Wort vom Vetorecht für die Koalition der Irakbesatzer in den Mund zu nehmen.

„Das Land hat viele Probleme, die sich nicht über Nacht lösen lassen“, sagte John Sawers, der britische Stellvertreter von Bremer. „Diese müssen wir ein einem Prozess gegenseitiger Verständigung lösen.“

Ob der Regierungsrat den Wunsch vieler Iraker nach einer eigenen Regierung erfüllt, wird sich in den kommenden Wochen zeigen. Seine wichtigste Aufgabe wird es sein, eine Kommission zur Ausarbeitung einer neuen Verfassung für das Zweistromland zu bestimmen, die dann den Weg zu demokratischen Wahlen ebnet. Dabei wird sich zeigen, ob es den Ratsmitgliedern gelingt, einen Konsens zu finden.

Die Kurden, die sich bislang äußerst kompromissbereit zeigten, werden auf keinen Fall akzeptieren, dass der Irak wie bisher als arabischer Staat gilt. Dabei geht es für sie nicht um das Zugeständnis von Minderheitenrechten, wie sie auch die bisherige Verfassung vorsah, sondern um die Verwirklichung des von ihnen geforderten Föderalismus. Ein harter Brocken vor allem für den Iraqi National Accord (Wifaq) und andere Nationalisten in dem Rat, denen es schwer fällt, sich von dem mittlerweile überholten Panarabismus zu verabschieden. Für Zündstoff wird auch die von schiitischen wie sunnitischen Islamparteien geforderte Übernahme von Elementen der Scharia, des islamischen Rechts, in die Verfassung sorgen.

Die Gründung dieses Rats drücke den irakischen Willen nach dem Zusammenbruch des diktatorischen Regimes aus, sagte Sergio Vieira de Mello unter Beifall. „Ab nun gelten Freiheit, Würde und Sicherheit für alle Iraker.“ Zudem sei der Regierungsrat ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur vollen Souveränität des Irak.

Mit dem nächsten Schritt dahin tat sich der Rat dann allerdings gleich schwer. Gestern wollte er eigentlich entscheiden, wer Ratsvorsitzender werden solle. Dies klappte nicht. Stattdessen wurde erst mal ein Kommission beauftragt, Vorschläge zu erarbeiten, wie denn der künftige Chef des Gremiums zu bestimmen sei.