: „Wir brauchen endlich wilde Streiks“
ErzieherInnen von Hamburgs Kindertagesstätten planen Arbeitsniederlegungen wegen Kürzungen im Krippenbereich. Mehrarbeit und Lohnabsenkungen befürchtet. Standardabsenkungen würden vor allem kleine Träger in die Insolvenz treiben
Von Marco Carini
Der Konferenzsaal im neunten Stock des Gewerkschaftshauses ist hoffnungslos überfüllt, noch im Flur drängeln sich die Anwesenden. Fast 200 ErzieherInnen verschiedener Kindertageseinrichtungen sind dem Aufruf einer Gruppe von Kindergarten-Beschäftigten gefolgt, über Protestaktionen gegen die Kita-Politik des Senats zu beraten. Auch betroffene Eltern, Betriebsräte und Vorstände mehrerer Einrichtungen werden gesichtet.
Die Ankündigung der Sozialbehörde, die Vergütung für neue Krippenplätze ab August befristet um 30 Prozent zu senken, hat die PädagogInnen auf die Beine gebracht. „Die Träger werden dieses Diktat akzeptieren müssen“, prophezeit der zuständige Fachgruppensprecher der GEW, Jens Kastner: „Für die Einrichtungen heißt das, dass sie in allen Gruppen die Betreuungsqualität absenken müssen, um das umzusetzen.“ Seine Befürchtung: „Die großen Träger werden das hinkriegen, die kleinen Einrichtungen erhebliche Probleme bekommen, zu überleben.“
Zwar geht Kastner nach einem Gespräch mit Vertretern der Sozialbehörde davon aus, „dass die Krippenregelung befristet bleibt“, dafür aber habe das Amt angekündigt, im kommenden Jahr „in allen Bereichen Standards zu senken“. Den Trägern bliebe dann nur die die Möglichkeit, „beim Personal zu sparen“, sieht Guntram Wille von ver.di voraus. Für die ErzieherInnen würde das bedeuten: „Mehr Kinder, mehr Arbeitsstunden oder weniger Geld.“ Bei der Arbeiterwohlfahrt sei bereits von einer „45-Stunden-Arbeitswoche die Rede“, hat der Gewerkschafter in Erfahrung gebracht.
Ein Erzieher aus einer kirchlichen Einrichtung befürchtet, „dass die Standards so weit abgesenkt werden sollen, dass Eltern zu den Tagesmüttern flüchten“. Sein Plädoyer: „Wir brauchen endlich wilde Streiks.“ Eine Forderung, die auch eine Mutter aus der „Elterninitiative für familiengerechte Betreuung“ unterstützt: „Wenn die Erzieher streiken, ist das in unserem Interesse, weil wir auch künftig unsere Kinder mit gutem Gewissen in die Kindergärten schicken wollen.“
Am Ende der Versammlung beschließen die noch etwa 150 verbliebenen Anwesenden: Ende August sollen aufgrund von Arbeitsniederlegungen und Betriebsversammlungen erstmalig alle Hamburger Kitas spätestens ab 14 Uhr geschlossen werden. Der Termin wird auf einem Folgetreffen, das am 23. Juni ab 19 Uhr im Curiohaus stattfindet, festgelegt werden. Am Tag zuvor wollen die ErzieherInnen zur Sitzung des bürgerschaftlichen Jugend- und Sozialausschusses mobilisieren, auf dessen Tagesordnung die Zukunft der Kitas steht. Beide Proteste sollen jedoch nur „der Auftakt zu weiteren Aktionen“ sein, „an deren Ende längere Arbeitsniederlegungen“ und ein stadtweiter ErzieherInnen-Streik stehen.