: Eiweißjagd mit Stecknadellasso
taz-Serie „Europa in Berlin“ (Teil 2): Die Biotech-Firma PSF forscht nach einem Medikament gegen Leberkrebs – vor allem für Patienten in der Dritten Welt. Unterstützt wird das Projekt durch EU-Gelder
VON SASCHA TEGTMEIER
Ein Nadelöhr ist riesig dagegen. Gerd Illing hält eine rote Stecknadel vor seine Augen und kneift das linke zu, um ein winziges Lasso darauf baumeln zu sehen. Die Schlaufe ist genau so bemessen, dass damit ein 0,1 Millimeter großer Kristall eingefangen werden kann. Auch unter dem Mikroskop ein schwieriges Unterfangen. „Das raubt unseren Mitarbeitern oft den letzten Nerv, denn die Kristalle sind ziemlich glitschig“, sagt Illing.
Er ist der Geschäftsführer der Charlottenburger Biotech-Firma PSF (Protein Structure Factory), die an einem Medikament gegen Leberkrebs arbeitet – gefördert von der Europäischen Union. Illing und seine sechs Mitarbeiter durchleuchten dazu rund um die Uhr kristallisierte Eiweißmoleküle mit einer Röntgenstrahlung, die es deutschlandweit nur in Adlershof gibt. Um die Proteine vor die Kamera zu bekommen, müssen sie eben mit dem Stecknadellasso eingefangen werden.
Ohne die finanzielle Unterstützung der EU wäre dieses Projekt nicht möglich. „Mit dem Geld können wir uns auf das konzentrieren, wofür wir eigentlich da sind, auf die Forschung“, sagt Illing. Angesichts der schlechten wirtschaftlichen Lage der Biotechfirmen seit dem Börsencrash müssten die Unternehmen ihre Existenz ansonsten vor allem mit Auftragsarbeiten sichern. Insgesamt 2,5 Millionen Euro bekommen PSF, drei weitere europäische Unternehmen, die Freie Universität Berlin und die Universität Graz für ihre gemeinsame Forschung in den kommenden drei Jahren von der EU. Das Geld stammt aus dem Forschungsrahmenprogramm.
Ihr wissenschaftliches Projekt haben die PSF und ihre Partner „PONT“ getauft. Das ist nicht nur die Abkürzung für ihre interdisziplinäre Methode „Parallel Optimization of New Technologies for Post-Genomics Drug Discovery“, sondern soll auch als das französische Wort für Brücke aufgefasst werden: als Bindeglied zwischen den Naturwissenschaften und Medizin sowie zwischen den drei beteiligten Ländern. Neben Deutschland sind das Österreich und Großbritannien.
„Die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen aus verschiedenen Ländern ist auch ein juristisches Problem“, sagt PSF-Chef Illing, „die Musterverträge der EU erleichtern das erheblich.“ Jede der Firmen bestreitet eine Teilstrecke auf dem Weg, einen Wirkstoff gegen Leberkrebs zu finden. Das teilnehmende Unternehmen aus Österreich hat kürzlich eine Liste von 60 Eiweißen an PSF weitergegeben. Ihren Forschungen zufolge sind diese Bestandteile von verschiedenen Genen dafür verantwortlich, Leberkrebs wuchern zu lassen.
PSF will nun gemeinsam mit Wissenschaftlern der Freien Universität den inneren Aufbau dieser Eiweißmoleküle bestimmen, um einen passenden Wirkstoff zu finden, der sie außer Gefecht setzt. Die Wissenschaftler nennen das die Schloss-Schlüssel-Methode. „Wir gucken, wie das Schloss aussieht, um dann den passenden Schlüssel – das Medikament – passgenau bestimmen können“, sagt Illing. Dazu wird jedes der Eiweißmoleküle bis zu 100-mal aus verschiedenen Winkeln geröntgt. So können die Forscher ein dreidimensionales Bild der atomaren Struktur am Computer herstellen.
Die besondere Strahlung, die für das Durchleuchten notwendig ist, liefert das Forschungszentrum Bessy in Adlershof. In diesem riesigen kreisrunden Gebäude werden Elektronen beinahe auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt. Auch Bessy ist mit europäischer Hilfe entstanden, mit insgesamt 191 Millionen Mark aus ihrem Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) unterstützte die EU den Bau vor sechs Jahren.
PSF-Chef Illing steckt die Nadel mit dem Eiweißlasso auf eine Vorrichtung zwischen dem Ende eines silbrig glänzenden Stahlrohrs und einer Spezialkamera. Bei einem Versuch schießt aus dem Rohr die so genannte Synchrotonstrahlung auf das Eiweißmolekül auf. Mit dem ausgestreckten Zeigefinger zeichnet Illing ihren Weg in dem Versuchsaufbau nach. Die Strahlen, die sich an dem Molekül brechen, erzeugen schließlich das Bild auf der Kamera, einem runden schwarzen Schirm. Um den Strahl exakt auf die kristallisierten Moleküle zu fokussieren, muss er durch ein 30 Meter langes Rohr mit verschiedenen Spiegeln geschickt werden.
Mit den so entstehenden Bauplänen der Eiweiße sollen in den weiteren Schritten Moleküle synthetisch hergestellt werden, die an die Eiweiße andocken. Wenn das funktioniert, wäre ein Wirkstoff gegen Leberkrebs gefunden. Illing hofft, dass er das mit PONT bis 2004 schafft – dann läuft die EU-Förderung aus.
„Bis ein Medikament auf den Markt kommen könnte, dauert das trotzdem noch mindestens sechs weitere Jahre“, sagt Illing. Für die Pharmaindustrie sei der Wirkstoff eher uninteressant. Denn Leberkrebs tritt vor allem in Ländern der Dritten Welt auf, als Folge von Hepatitis C. Doch Illing hat schon weitere Projekte im Kopf. „Wir werden natürlich noch andere Krankheiten angehen“, sagt er, „zum Beispiel Darmkrebs.“