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Archiv-Artikel

Schall und Rauch

(Fast) ein Jahrhundert mit Zigarre: Tabak und Son prägten das Leben des Compay Segundo. Mit dem Buena Vista Social Club kam der kubanische Gitarrist – auch als Charmeur – zu spätem Weltruhm

von DANIEL BAX

Mit ihm hätte man keine Antiraucherkampagne bestreiten können: Compay Segundo war Zeit seines Lebens das beste Beispiel dafür, wie man trotz einer zweifelhaften Diät aus Rum und Zigarren bis ins hohe Alter aktiv bleiben kann: Ein Fleisch gewordenes Klischee kubanischer Lebensart. Bis zuletzt bestimmten Plattenaufnahmen und Konzerte rund um den Globus den Terminkalender des 96-jährigen Granden der kubanischen Musik, der am Montag in Havanna einem Nierenleiden erlegen ist.

Fast ein ganzes Jahrhundert lang bewegte sich das Leben des Compay Segundo im Schatten der Tabakpflanze. Schon als Fünfjähriger habe er die Zigarren seines Großvaters anzünden müssen, erinnerte sich Compay Segundo 1999 in der Filmdokumentation über den Buena Vista Social Club von Wim Wenders, und dabei den ersten Rauch geschmeckt.

Seine lange musikalische Karriere dagegen war dem als Francisco Repilado ins Geburtsregister eingetragenen Musiker nicht in die Wiege gelegt worden, als er 1907 im Osten Kubas zur Welt kam. In den Zwanzigerjahren des letzten Jahrhunderts verdiente er sich in Santiago de Cuba seine ersten Sporen als Musiker: Tagsüber arbeitete er auf den Tabakfeldern, nachts zog er durch die Bars der Musikmetropole am Ostrand der Zuckerinsel.

Im Alter von 15 Jahren schrieb er mit „Yo Vengo Aqui“ sein erstes eigenes Stück, dem über 100 Kompositionen folgen sollten, von denen viele Eingang in das populäre Repertoire der Insel fanden.

Am bekanntesten wurde freilich das melancholisch-spröde „Chan Chan“, welches 1996 das Album des Buena Vista Social Clubs eröffnete. Das Veteranentreffen kubanischer Musiker brachte den fast vergessenen Sound der Fünfzigerjahre, der klassischen Ära des kubanischen Son, wieder in Erinnerung, und das weltweit: Mehrere Millionen Male verkaufte sich das nostalgische Album, das 1999 auch für mehrere Wochen an der Spitze der deutschen Charts stand: Selbst der deutsche Kanzler wurde in jener Zeit besonders häufig mit einer Zigarre in der Hand gesichtet.

„Der Letzte der Besten, das Orakel, die Quelle, der Mann, von dem alles ausgeht“, schwärmte Ry Cooder von seinem Schützling Compay Segundo, der damals seinen zweiten Frühling auf den Bühnen der Welt erlebte. Wohl auch ohne den Buena Vista Social Club hätte Compay Segundo in den Neunzigerjahren noch eine internationale Karriere gemacht. Denn als Ry Cooder und sein musikalischer Erkundungstrupp 1996 erstmals kubanischen Boden betraten, um die alte Garde des kubanischen Son um sich zu scharen, da hatte Segundo längst einen Plattenvertrag bei einer spanischen Plattenfirma unterschrieben, und auch schon wieder neue Alben aufgenommen.

Der überwältigende Erfolg des Buena Vista Social Clubs sowie des gleichnamigen Films aber führten dazu, dass der Ertrag seines späten Comebacks dann doch ein wenig üppiger ausfiel als erwartet. Neben dem zurückhaltenden Sänger Ibrahim Ferrer, dem Mann mit der Schiebermütze, avancierte der charmante Gentleman Compay Segundo zu den Hauptdarstellern des Altherrenvereins.

Seinem Erfolg mit der All-Star-Band ließ Compay Segundo eine ganze Reihe von Solo-Alben folgen, deren Qualität aber nicht immer seinem Können entsprach. Auf Fotos posierte er gerne als Tropenplayboy im hellen Anzug vor Cadillac-Oldtimern, die noch genau so gut in Schuss wirkten wie er selbst, und kokettierte noch im hohen Alter mit dem Image des Lebemanns und Schwerenöters, stets mit einer dicken Havanna im Mundwinkel: Eine Reminiszenz an seine beste Zeit in den Fünfzigerjahren, als er mit dem Duo Los Compadres den ersten Gipfel seiner Popularität erreicht hatte.

Aus jener Zeit stammt auch sein Spitzname, der zu seinem Pseudonym wurde: Compay ist der Slangausdruck für „Compadre“, den Begleiter, und Segundo bezog sich auf seine tiefe, zweite Gesangsstimme. Sein Markenzeichen aber war die siebensaitige „Armonica“ – eine Kreuzung aus spanischer Gitarre und kubanischer Tres, die er sich selbst zurechtgezimmert hatte.

Seine Karriere fand mit der kubanischen Revolution zunächst ein abruptes Ende: Plötzlich war die Unterhaltungsmusik der Batista-Ära verpönt, und Compay Segundo nahm eine Arbeit in einer Tabakfabrik auf. Für zwei Jahre wurde er sogar zu einer Kooperative in China geschickt: Ein Teil seiner Biografie, über den Compay Segundo nie gerne sprach.

Erst als Rentner trat Compay Segundo wieder als Musiker auf und erlangte späten Weltruhm.