letzte ausfahrt brooklyn
: Amerikanische Kultur als radioaktiver Abfall

Gib’s zu, ihr hasst uns

Die USA sind ein Land in Verwirrung. Gerade mal ein paar Monate ist es her, dass ein Dutzend Bücher auf den Markt kam, die sich der Frage widmeten, ob der Umstand, dass die USA gerade ein Imperium begründen, eigentlich zu begrüßen sei oder nicht. Die Meinungsseiten der Tageszeitungen und die Essayseiten der Magazine strotzten nur so vor Debattenbeiträgen.

Doch nun – nachdem mehr und mehr US-Soldaten im Irak umkommen, und angesichts eines Präsidenten, der sich recht ungeschickt unter den Vorwürfen windet, er habe die amerikanische Öffentlichkeit wissentlich in die Irre geführt – sieht das alles ganz anders aus. Die Frage nach dem Empire hat rapide an Konjunktur verloren, groß angelegter Zweifel macht sich breit. Gleich drei Mal, in drei verschiedenen Artikeln, konnte man etwa in der New York Times zum Nationalfeiertag das berühmte Samuel-Johnson-Zitat vom Patriotismus lesen, der der letzte Zufluchtsort für Lumpen sei.

Was denn nun, Amerika?, fragt man also, wenn man sich Samstagabend mit ein paar Freunden trifft. Dafür ist die Bar in Red Hook, einer eigenartig verlassenen Gegend in Brooklyn, die sich im Schatten der Hafenanlagen über eine Landzunge erstreckt und vom Rest New Yorks durch eine gigantische Stadtautobahn abgetrennt wird, der richtige Ort. In der Ferne glitzert Manhattan, auf der anderen Seite der Straße verschwindet ein Rudel wilder Hunde in einem Abbruchhaus.

Es war Charlottes Idee, sich hier zu treffen, sie unterhält ein kompliziertes Liebesverhältnis mit der amerikanischen Kultur. Charlotte behandelt sie, als handle es sich bei ihr um radioaktiven Abfall. Die Artefakte müssen mindestens dreißig Jahre alt sein, sonst ist die Strahlung noch zu stark. Sind sie alt genug, lohnt sich aber die Wiederaufbereitung. Diner aus den Fünfzigern: okay. Vergnügungsparks aus den Zwanzigern: superokay. Shopping-Malls: Überhaupt nicht okay. Trotz aller Liebe ist sie sich aber sicher, Europäer müssten die Amerikaner hassen. Wenn man verneint und sagt, dass man ganz im Gegenteil die USA liebend gern habe, wenn auch vielleicht nicht unbedingt die Regierung, ist das für sie nur wie ein besonders vertrackter Akt europäischer Sophistication: „Come on, you’re lying. You hate us.“

Jeff ist den ganzen Weg aus Washington heraufgekommen. Er arbeitet für einen Geheimdienst, dessen Kürzel er nicht nennen will oder darf. „Nur so viel: Wenn mein Persisch so gut wäre wie dein Englisch, hätte ich ein Problem weniger.“ Er ist Ende zwanzig, kommt aus einem kleinen Kaff im amerikanischen Süden, hat einen zünftigen Armeehaarschnitt und bebt vor ehrlicher Empörung, wenn die Rede auf seinen Arbeitgeber kommt. „Ich habe Bush geglaubt. Ich habe wirklich gedacht, dass der Irakkrieg ein gerechter Krieg sei, dass das okay ist, wenn wir den Typen da unten beseitigen. Und jetzt? Sie haben uns angelogen und den ganzen Rest der Welt auch. Ich würde am liebsten kündigen, zurück in den Süden gehen, mir das Haus von meinen Eltern unter den Nagel reißen, ganz viel Bier und eine Pistole mit all dem Schnickschnack kaufen, dass man auch besoffen nicht vorbeischießt, und dann im Garten Propangasbehälter in die Luft jagen.“

Neulich, erzählt Paul, habe er mit seinem Vater zusammen Nachrichten auf NBC geschaut, und es sei eine Meldung gesendet worden, dass mehr und mehr Amerikaner die drakonischen Gesetze zur inneren Sicherheit ablehnen würden. „Und mit was für Bildern haben sie diese Nachricht illustriert? Kein Witz: Hippies mit akustischen Gitarren, die in einem Park sitzen und singen. Da ist sogar meinem Vater, der wirklich kein Sozialist ist, die Kinnlade heruntergeklappt.“

Paul hat gerade seinen Beruf als Anwalt aufgegeben, um fortan als Musiker zu arbeiten. Er pendelt seit Jahren zwischen Deutschland und den USA und gesteht, dass es ihm immer schwerer falle, in die USA zurückzukommen. „Ich bin dabei, mich völlig zu europäisieren. Wann immer ich nach Hause komme, und die Leute sehe, mit denen ich aufgewachsen bin, stelle ich fest, ich spreche diese Sprache nicht mehr.“

TOBIAS RAPP