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Archiv-Artikel

Von der Renaissance profitieren

Der Aufstieg von Williamsburg zum Künstlerviertel und die Folgen: Das bislang im Schatten der großen, erstklassigen Kunstmuseen in Manhattan stehende Brooklyn Museum hat neu eröffnet und interessiert sich in seiner Ausstellung „Open House: Working in Brooklyn“ für die eigene Umgebung

VON TILMAN BAUMGÄRTEL

Der Eingang liegt unter dem Eingang. Früher führten Ehrfurcht erregende Stufen hinauf in das Foyer des Brooklyn Museum. Jetzt geht man unter ihnen hindurch in eine helle, hohe Vorhalle, die auf den ersten Blick wie die großzügige Lobby eines neuen Hotels wirkt. Vor den emporragenden Glastüren plätschert ein Springbrunnen, den das Architekturbüro WET gestaltet hat, das sonst die Kasinos in Las Vegas mit Wasserspielen versorgt. Ganz offensichtlich soll die neue Gestaltung des Eingangsbereichs den dunklen historistischen Kasten des Brooklyn Museum so einladend wie möglich machen.

Die transparente Fassade, die die Einschüchterungsgesten des über 150 Jahre alten Museums schlau unterläuft, stammt von der New Yorker Polshek Partnership. Wahrscheinlich ist es eine ungeplante Assoziation: Aber fährt man auf dem Eastern Parkway an dem Gebäude vorbei, sieht das neue, halbrunde Foyer, das von Säulen strukturiert wird, aus wie die Krone der Freiheitsstatue, die auf den Boden herabgesunken scheint.

Die Wiedereröffnung und Umgestaltung des Brooklyn Museum findet zu einem strategisch günstigen Zeitpunkt statt: Manhattan, einst der Mittelpunkt der westlichen Kunstwelt, ist inzwischen so gründlich gentrifiziert, dass es sich die meisten Künstler nicht mehr leisten können, dort zu leben. Ehemalige Bohemeviertel wie die Lower Eastside, das East Village oder Soho sind zu bevorzugten Standorten für Boutiquen und Starbucks-Filialen geworden. Selbst Galerien tun sich inzwischen schwer damit, die Mieten in Manhattan aufzubringen. Darum lassen sich seit Anfang der Neunzigerjahre Künstler und anderes buntes Volk in den Teilen von Brooklyn nieder, die nahe an der U-Bahn-Linie L liegen, die direkt nach Manhattan führt.

Es gab einmal eine Zeit, da war der Ausdruck „Brooklyn Artist“ gleichbedeutend mit „drittklassiger Möchtegernkünstler“, aber das ist lange vorbei. Inzwischen ist es fast eine Auszeichnung, im Stadtteil Williamsburg zu wohnen, in dem sich in den Neunzigerjahren eine eigene Kunst-Infrastruktur aus Ateliers, Galerien und selbst organisierten Ausstellungsräumen entwickelt hat. Heute gibt es über fünfzig Galerien in Brooklyn, und es wird geschätzt, dass etwa 5.000 Künstler in dem Stadtteil wohnen. Inzwischen haben die Mieten in Williamsburg fast das Niveau von Manhattan erreicht, und die Kunstszene ist angeblich im Begriff, nach Queens weiterzuwandern. Doch von der Renaissance des Stadtteils, der lange vor allem als Bastion vorstädtischen Kleinbürgertums galt, will nun auch das Brooklyn Museum profitieren.

Das Haus gilt als B-Institution, das mit den erstklassigen Kunstmuseen in Manhattan wie dem MoMa, dem Guggenheim oder dem Whitney nicht konkurrieren kann. Die Sammlung des Museums besteht aus einer kuriosen Mischung aus Amerikana, Altertümern aus Afrika, Asien und Ozeanien, Gemälden aus dem 19. Jahrhundert und einem Durcheinander von Werken aus dem 20. Jahrhundert.

Direktor Arnold Lehmann hat versucht, sein Museum durch populäre Ausstellungen über HipHop und das Set-Design von „Star Wars“ einen eigenen, populären Stil zu geben. Der spektakuläre Höhepunkt seiner bisherigen Amtsführung war die Ausstellung „Sensation“, die die junge britische Kunst nach New York brachte. Sie geriet damals zu einem veritablen Skandal, weil der ehemalige New Yorker Bürgermeister Rudolph Giuliani über ein Kunstwerk erbost war, auf dem die Jungfrau Maria mit Kuhdung dekoriert war. Kurzzeitig sollten dem Brooklyn Museum sogar sämtliche städtischen Mittel gestrichen werden.

Die Ausstellung zur Wiedereröffnung des Museums „Open House: Working in Brooklyn“ wird zu keinem vergleichbaren Skandal führen. Die amerikanische Kunstpresse mokierte sich zwar zum Teil über das „Durcheinander“ (Village Voice) der Ausstellung. Aber Anstoß erregt hier nichts. Die Ausstellung ist auch kein Überblick über die Kunst der Williamsburg-Szene, deren Protagonisten wie Eric Heist, Roxy Paine, Rico Gatson oder Laura Parnes bislang im internationalen Kunstbetrieb nicht wirklich angekommen sind und eher als Lokalgrößen betrachtet werden müssen. „Open House“ versammelt 300 Arbeiten von 200 Künstlern, deren einzige Gemeinsamkeit darin besteht, dass sie in Brooklyn „leben und arbeiten“, wie es in Künstlerbios immer so schön heißt. Dazu gehören verblüffenderweise auch Louise Bourgeois, die seit langem ein Studio in Brooklyn hat, oder Vito Acconci, den man eher in Soho ansiedeln würde.

Ansonsten ist die Ausstellung ein bunter Wirrwarr von eng gehängten und aufgestellten Werken von Künstlern zwischen 25 und 80 ohne erkennbare Schwerpunkte. Die Videoloops von Jennifer und Kevin McCoy laufen neben einer Computerinstallation von Ken Feingold, die den Betrachter mit simulierten Fehlermeldungen erschrecken will. Heidi Codys aus dem Kontext gerissenen Elemente von Firmenlogos stehen neben den aus Lakritz zusammengebastelten Schuhen von Andy Yoder, die Katastrophenbilder des Schweizer Fotografen Christoph Draeger neben endlosen Ölgemälden, die desto älter aussehen, je mehr sie als das neueste Ding gepriesen werden. Befremdlich wirkt dagegen die Entscheidung von Kuratorin Charlotta Kotik, einige Arbeiten von „Open House“ in der Dauerausstellungspräsentation ethnografischer Objekte zu zeigen. Ausgerechnet die Arbeiten von nichtweißen Künstlern landeten in diesem Abseits.

Bis 15. August, Informationen unter: www.brooklynmuseum.org