Wer wird denn schwarz sehen?

Schwarz-Grün wird kommen. Wenn nicht morgen, dann übermorgen. Als Zivilisationsprojekt – oder schlicht nach den Gesetzen der Mathematik. Zwei Ausblicke auf die kommende Koalition
VON JAN FEDDERSEN

Es zählt zu den populärsten Irrtümern alltagspolitischer Wahrnehmung, Koalitionen seien programmatisch vor dem politischen Prozess definierbar. Jedes Dokument grüner Parteitage belegt die in dieser Idee angelegte Frustration beweiskräftig: Im Regierungsalltag zählt später nicht, was irgendein Plenum beschließt, sondern viel eher, was die gefühlte, eventuell demoskopisch gescannte Wirklichkeit signalisiert. Was geht? Was nicht?

Rot-Grün war nur in Fantasien von grünen Politstrategen ein Projekt. Wichtig war 1998 nur, den einzig majoritären Wählerauftrag einzulösen: Die Union muss von der Regierung abgelöst werden. Die empfundene Wirklichkeit des Gerhard Schröder war: Rot-Grün ist machbar, denn die Grünen waren nicht kein Hort mehr von Aliens, sondern bestenfalls unberechenbar.

Diese Reputierlichkeit haben die Grünen seither nicht eingebüßt, sondern, im Gegenteil, noch stärken können. Sie gelten, möglicherweise dem Regierungsalltag zum Trotz, als eigentliche Gewinner von Rot-Grün. Die MinisterInnen? Kaum mehr als radikalbürgerliche Politiker. Akzeptiert in allen relevanten Milieus der Republik.

Das war mal ganz anders. Anfang der Achtziger träumten die Grünen von Rot-Grün – und kamen auf Hamburg und Westberlin zu sprechen, wo metropole Neomittelschichtsszenen die Grünen in Parlamente wählten. Die erste rot-grüne Länderkoalition gab es aber in Hessen. Das war bizarr, denn Joschka Fischer war bundesweit als Krawallero verrufen, Börner als Betonsozi, der den Grünen anzudrohen beliebte, er werde sie mit Dachlatten heimsuchen, wenn sie nicht brav würden. Nun, Börner machte jenen Prozess durch, der aller demokratischen Kommunikation innewohnt: Er gewöhnte sich an seine Gegenüber, sie wurden für ihn anschlussfähig.

Sie liebten sich nicht – mussten aber miteinander auskommen. So wurden die Sozis immer grüner – und verloren Teile ihrer subproletarischen Kernwählerschaft. Eine Entwicklung bis heute. Das ist tragisch für die SPD, aber gut für die Grünen. Die haben, alles in allem, mit ihrer radikalliberalen Politik die SPD vom Traditionsmief befreien können – und insofern die Partei für die demokratische (und ökonomische) Moderne zivilisiert.

Der Union steht dieser Prozess noch bevor, besser: Er wird ihr blühen. Der politische Gegner – aus ökolibertärer Sicht: (noch) die Union – wird abgeschliffen, indem man ihn domestiziert. Gut ist, wenn schon zuvor die eigenen Anliegen in die andere Formation hineingetragen werden. Beispiel: Die Frauenfrage war in der Union erst aktuell, als Politikerinnen wie Rita Süssmuth auf den Plan traten: Vertraut mit dem Feminismus, konnten erst sie ihrer Partei nahe bringen, dass Frau sich nicht zwingend auf Mutter reimt. Und außerdem gremienvernehmlich darauf hinweisen, dass ohne diese Frauen die Union ihre Regierungsfähigkeit verlöre. Das ist die Sprache, die die Union versteht: Macht- durch Identifikationsverlust.

Das wird das grüne Zivilisationsprojekt: Die Union in die Kommunikation zwingen, auf dass diese keine Front mehr macht gegen Projekt der liberalen Moderne. Konkret: Dass sie Ökofragen nicht mehr sabotiert; dass sie Zuwanderungsfragen nicht mit Horrorszenarien kommuniziert; dass sie Bürgerrechte für Homosexuelle nicht blockiert; dass sie Familien- nicht als Muttifragen verhandelt.

Die Union wird müssen, denn die FDP steht nicht für Erfolg, nur für Tantiemen. Dass die Grünen, umgekehrt, mit der Union ihre kulturellen Essentials durchzusetzen vergessen? Unwahrscheinlich. Täten sie das, würde sie zwei Drittel ihrer Wähler verlieren.

Das Risiko kann lohnen. Voraussetzung ist nur, sich von der Idee zu entfernen, dass Politik irgendetwas mit Herzenswärme zu tun hat. Politik ist auch, gesellschaftlich die Stimmung zu eigenen Gunsten zu wenden – kühl, ohne Sentimentalität. Die Union hat keine Chance. Sie wird sie nutzen, denn es geht ihr immer um die Macht. Dass dann die Grünen endgültig den Nimbus bei Linken verlören: na und? Es geht sowieso um Wichtigeres.

VON PETER UNFRIED

Es gibt Menschen, die sich vor Schwarz-Grün ängstigen. Manche haben allen Grund. Guido Westerwelle etwa. Aber auch andere tun so, als ginge dann die Welt unter. Das kann schon sein – aber wenn, dann geht sie das auch mit Schwarz-Gelb. Oder mit Rot-Grün. Wie vieles entscheidet sich das andernorts. Den „entfesselten Kapitalismus“ kann und will jedenfalls keiner bremsen außer Sahra Wagenknecht. Aber die hat – genau deshalb – nicht mal bei „Christiansen“ was zu sagen.

Warum jetzt Schwarz-Grün? Den „Marsch der Avantgarde ins Kleinbürgertum“, hat der Springer-Vorstandsvorsitzende Mathias Döpfner unlängst – jubilierend? – konstatiert, die „heimlichen konservativen Sehnsüchte“ eines „ursprünglich linken Publikums“ die Zeit in ein taz-Gespräch hineininterpretiert – in ihrem Sinne, also im unermüdlichen Hinarbeiten auf eine Merkel-Regierung.

Ist Schwarz-Grün ein Projekt, das man aufladen kann wie zuvor Rot-Grün? Sich speisend aus einem veränderten „Lebensgefühl“? Und der „Liberalisierung“ der schwarzen „Generation Taktik“ (Merkel, Wulff, von Beust).

Ach, Quatsch. Wenn man etwas aus den Erfahrungen mit Rot-Grün gelernt hat, dann ist es Demut. Nicht fantasieren!

Schwarz-Grün ist zuerst schlichte Mathematik. Einmaleins. Das was bleibt – jenseits einer großen Koalition. Unter dem Eindruck der Realität, einer strukturkonservativen, staatsfixierten SPD, aus Mangel an anderen Alternativen und dem Akzeptieren der derzeitigen individuellen und globalen Unfähigkeit, richtige Alternativen zu schaffen. Oder nur zu denken. Wie es aussieht, wird man das Reformprojekt Rot-Grün als epochales Ereignis höchstens in die 25-jährige Geschichte der Grünen eingehen. Schwarz-Grün wäre weniger epochal als Rot-Grün, das klingt nur auf den ersten Blick überraschend.

Selbstverständlich gibt es Unterschiede zwischen Schwarz und Grün. Programmatische. von A (Atom) bis Z (Zuwanderung). Auf Bundes- wie auf Landesebene. Dennoch ist Schwarz-Grün der zweite Schritt, der sich aus dem ersten ergibt. Wer A sagt, wird auch B sagen, wer Kosovokrieg, Sozialabbau und Schily mitgemacht hat, den kann doch auch ein Beckstein nicht erschüttern.

Die Realität ist: Schwarz-Grün ist immerhin noch nicht gescheitert. Wenn Schwarz-Grün demnächst kommt, wird es sich um eine pragmatische Entscheidung einer pragmatischen Wählerschaft handeln. Die orientiert sich weniger an ihrer gefühlten kulturellen Identität und mehr an ihren real existierenden Lebensumständen. Exekutiert wird das dann von pragmatischen Machtpolitikern.

Was die Landtagswahl am Sonntag betrifft, so ist vieles fraglich: Kommt Grün überhaupt rein? Gibt es eine Notwendigkeit? Ist Thüringen geeignet für die Premiere?

Dafür spricht eine junge, vom Westen und den 90ern geprägte Grünenklientel. Dagegen sprechen sachpolitische und machtpolitische Argumente, nicht zuletzt die Unerfahrenheit der Grünen in einem seit vielen Jahren durch alle Amtsstuben schwarz regierten Land. Das ist nicht dadurch zu kompensieren, dass man die Bundestagsfraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckhardt zurück in die Provinz delegiert. Sicher: Sie ist ein Gesicht von Schwarz-Grün. Grade deshalb wird sie in Berlin bleiben (wollen).

Das Szenario ist so: Eines Sonntags wird es eine Mehrheit geben. Andere Mehrheiten fehlen. Und/oder werden aus machtpolitischen Gründen nicht wahrgenommen. Dann wird verhandelt. Business as usual. Und dann wird es Schwarz-Grün geben.