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„Die nationalen Politiker tun so, als ginge die EU sie nichts an“, sagt Thomas Jansen

Das Europaparlament hat zu Unrecht einen miesen Ruf: Die Arbeit dort erzwingt Konsens – und fördert Integration

taz: Herr Jansen, das Europaparlament wird immer wichtiger, das Interesse der Deutschen an der Europawahl immer geringer. Was läuft da schief?

Thomas Jansen: Die nationalen Regierungen und die Parteien tun so, als ginge sie die Europäische Union nichts an – es sei denn, sie brauchen einen Sündenbock. Sie versäumen, die Bürger über die Politik, die sie in Brüssel mitverantworten, zu informieren. Viele nationale Politiker kennen sich auch in der EU-Politik zu wenig aus. Und oft wollen sie nicht wahrhaben, dass die Brüsseler Entscheidungen immer wichtiger werden. Denn dann müssten sie sich eingestehen, dass sie selbst an Bedeutung verlieren.

Dennoch müsste es irgendwie gelingen, die Europawahlen spannender zu machen. Man könnte europaweite statt nationale Listen aufstellen. Mit einem Spitzenkandidaten, der bei Wahlerfolg seiner Partei Kommissionspräsident wird.

Genau dies sieht ja auch die Verfassung vor – 2009 könnte es erstmals so weit sein. Dann würde der Kommissionspräsident nicht mehr von den Regierungschefs ausgeguckt, sondern vom Europaparlament gewählt.

Dies setzt aber funktionierende europäische Parteien voraus. Können sich etwa sozialdemokratische Parteien aus 25 Staaten auf einen Spitzenkandidaten einigen?

Das ist leichter, weil es nach den Regeln der Demokratie stattfindet, als wenn 25 Regierungschefs sich in diplomatischen Verhandlungen auf einen Kandidaten einigen müssen. Es müsste weniger auf nationale Eitelkeiten Rücksicht genommen werden.

Dafür gibt es andere Probleme. In der Europäischen Volkspartei EVP müssen so unterschiedliche Parteien wie die europakritischen britischen Tories und die EU-freundliche CDU zusammenarbeiten.

Da muss man genau hinschauen. Die Briten sind nicht Mitglied in der EVP, sondern nur in der Fraktion der EVP im Europaparlament. Das erleichtert die Arbeit in der Partei enorm. Und in Brüssel sind auch die britischen Abgeordneten viel weniger euroskeptisch als ihre Partei zu Hause.

Aber das breite Spektrum der EVP zwingt immer wieder dazu, sich nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu einigen.

Natürlich war vor 15 Jahren, als nur Abgeordnete christlich-demokratischer Parteien in der der EVP-Fraktion waren, alles einfacher. Doch mit der EU-Erweiterung hat auch die EVP aus guten Gründen ihr Spektrum erweitert. So ging natürlich etwas von dem klaren Profil verloren. Doch das ist eben auch das europäische Prinzip: 25 Nationen müssen einen Konsens finden. Man muss miteinander reden, reden und nochmals miteinander reden. So trägt man zur Integration bei.

Mit der Osterweiterung wird das europäische Parteienspektrum noch unübersichtlicher. In Tschechien gibt es zum Beispiel zwei rechte Parteien. Wie sollte die EVP-Fraktion darauf reagieren?

Das Problem hat die EVP auch mit ihren Italienern: In der Fraktion und in den Parteigremien sitzen Vertreter von Regierung und Opposition des Landes. Es gehört sich zwar nicht, dass man im EP nationalen Streit austrägt, aber es lässt sich nicht immer vermeiden. Es ist aber auch schon vorgekommen, dass sich konkurrierende Parteien zusammengeschlossen haben – z. B. in den Niederlanden, wo drei christliche Parteien heute die CDA bilden. Dazu hat auch die EVP-Zusammenarbeit beigetragen.

Gibt es einen Grund, Parteien aus der EVP auszuschließen?

Das ist schon einmal, in den 80er-Jahren, passiert. Damals bekam die CDS in Portugal einen neuen Vorsitzenden, der die Partei nach rechts führte und einen euroskeptischen, thatcheristischen Kurs einschlug. Die CDS wurde ausgeschlossen.

Wegen Thatcherismus? Was ist dann mit den britischen Konservativen?

Man sollte nicht vergessen, dass die ursprünglichen EVP-Mitglieder aus der christlich-demokratischen Tradition kommen, nicht aus der konservativen. Für sie ging es stets um wirklich soziale Marktwirtschaft und europäischen Integration. Die Aufnahme konservativer Abgeordneter aus Skandinavien und Großbritannien hat zu einer Abschwächung der föderalistische Profil der EVP geführt. Dies hat unlängst zu heftigen Protesten christdemokratischer Abgeordneter aus Belgien, Frankreich und Italien geführt.

Die vom tschechischen Staatspräsidenten Václav Klaus gegründete ODS gilt auch als thatcheristisch. Droht ihr der Ausschluss?

Man muss abwarten, wie die ODS-Abgeordneten sich verhalten. Wenn sie die europaskeptische Position von Václav Klaus vertreten, werden sie hinten runterfallen und einflusslos bleiben. Es gibt auch die Möglichkeit, die Fraktion zu verlassen. Doch das passiert nur selten, denn die Abgeordneten wissen genau, dass es für sie interessanter ist, in einer großen Fraktion zu sein. Und bei einem Ausschluss würde man sich der Möglichkeit nehmen, solche Abgeordnete zu „christiano-demokratisieren“.

Bedeutet Zusammenschluss immer Profilverlust? Wäre es nicht besser, erst am Programm zu arbeiten und dann die Organisation zu gründen?

Natürlich haben die großen Volksparteien ein Problem mit ihrem Profil – auf nationaler Ebene und noch viel mehr auf europäischer. Aber es ist ja gerade die Funktion von Parteien, unterschiedliche Interessen unter einen Hut zu bringen. Letztlich zählt das Ergebnis und nicht das Profil. INTERVIEW: SABINE HERRE

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