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Archiv-Artikel

SPD will weiter im Hochwasser ackern

Streit um Trittins Hochwassergesetz: SPD-Abgeordnete protestieren gegen starke Einschränkungen für Landwirte. Grüne sauer: Das Gesetz war eigentlich schon in der Koalition abgestimmt. Rot-grüne Fachrunde bei Trittin soll Streit am Montag schlichten

AUS BERLIN MATTHIAS URBACH

Zwischen der SPD-Fraktion und der Regierung ist es zum Streit über den Hochwasserschutz gekommen. Fraktionschef Franz Müntefering (SPD) hat den Gesetzentwurf des Kabinetts nach Protesten von einzelnen Abgeordneten seiner Fraktion vorläufig auf Eis gelegt. Kern des Konflikts sind die Nutzungseinschränkungen für Landwirte in Hochwassergebieten.

Eigentlich sollte das Hochwasserschutzgesetz schon vor zwei Wochen in den Bundestag eingebracht werden. Doch auf der Fraktionssitzung davor kam es zum Aufruhr: „Das platzte wie eine Bombe“, sagen Teilnehmern. Mehrere Abgeordnete erklärten, ihnen machten die Einbußen für die Bauern in ihrem Wahlkreis Sorgen. Im Vorfeld hatte der Bauernverband kräftig Lobbyarbeit gemacht.

Der grüne Umweltpolitiker Winfried Hermann ist sauer: „Der ein oder andere hat offenbar vergessen, wie schlimm das Elbhochwasser wirklich war“, schimpft der Grüne. Damals im August 2002 hatten Politiker aller Parteien nach mehr Vorsorge gerufen. Der Gesetzentwurf von Umweltminister Jürgen Trittin verpflichtet die Länder, bis 2010 entlang den Flüssen Überschwemmungsgebiete auszuweisen. Das sind alle Flächen, die in 100 Jahren mindestens einmal überflutet waren. Rund ein Viertel dieser Fläche sind „Abflussgebiete“: Dort bilden sich beim Ablauf des Hochwassers kurzfristig neue Ströme. In diesen Zonen wäre der Ackerbau ab 2013 verboten. Im Rest ist Landwirtschaft nach dem Gesetzentwurf verboten, aber Ausnahmen sind möglich – vor allem die Nutzung als Viehweide oder Grünland.

Trittin will verhindern, dass Pflanzen wie Mais in Hochwasserregionen angebaut werden, bei denen der Acker die meiste Zeit praktisch eine Brache ist. Tritt dann der Fluss über die Ufer, wird der kostbare Mutterboden weggeschwemmt, mitsamt den ausgebrachten Pestiziden, die für Gewässer hochgiftig sind. Der Schlamm wiederum sammelt sich in Kellern und wird zuweilen hart wie Beton.

Der SPD-Abgeordnete und Agrarexperte Gustav Herzog hält Trittins Entwurf für überzogen. „Es kann nicht sein, dass man 99 Jahre nicht anbauen darf, um für ein Jahr Hochwasser und Acker voreinander zu schützen.“ In vielen Bereichen sei das Abtragen der Böden gar nicht zu erwarten, weil dort das Hochwasser einfach versickere – „Hochwasser bedeutet nicht automatisch Erosion“. Herzog will das Verbot auf Flächen beschränken, wo das Wasser wirklich Erde mitreißen kann. Zu den entschiedenen Gegnern gehört auch der NRW-Landesgruppenchef der SPD-Fraktion, Hans-Peter Kemper. In seinem Wahlkreis Borken, so sagt er, sei ein Drittel der Acherfläche von dem Gesetz betroffen. Doch welche Flächen wirklich betroffen sind, müssen die Bundesländern erst noch ermitteln.

In Vorgesprächen zeichnete sich ein Kompromiss ab. Die Formulierung im Gesetz könnte einfach umgedreht werden: Statt den Ackerbau auch jenseits der Abflusszonen zu verbieten und nur in Ausnahmen zu erlauben, könnte man ihn grundsätzlich erlauben – aber nur unter Auflagen. Allerdings: Herzog will den Ländern die Details der Auflagen überlassen. Das wollen die Grünen verhindern.

Im Mai hatten bereits Bayern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und selbst das SPD-geführte Rheinland-Pfalz das Ackerbauverbot außerhalb der Abflüsse kritisiert. Das Gesetz ist allerdings nicht zustimmungspflichtig.

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