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Archiv-Artikel

Pflege von Industriedenkmälern bedroht

Hamburger Geschichtswerkstätten alarmiert: Plan der Kultursenatorin, den Stadtteilarchiven die Gelder zu streichen, zerstört kollektives Gedächtnis

„Den regelmäßigen Service der Stadtteilarchive können keine Ehrenamtlichen gewährleisten“

aus Hamburg PETRA SCHELLEN

„Alles fließt“, schrieb einst Heraklit, alles ist Wechsel – nur der Politikstil der Hamburger Kultursenatorin Dana Horáková (parteilos) leider nicht. Immer wieder rutscht die Ex-Bild-Journalistin zurück in die alten Pfade einsamer Entscheidungsfindungen; immer wieder wartet sie mit Lösungen auf, denen es an Detailkenntnis gebricht.

Jetzt soll es – die Bild vermeldete es vor der Pressestelle – den 14 Hamburger Geschichtswerkstätten an den Kragen gehen: Sämtliche Zuschüsse – 500.000 Euro jährlich – sollen den Institutionen, die insgesamt zwölf hauptamtliche sowie Hunderte ehrenamtliche Mitarbeiter beschäftigen, gestrichen werden. Das ist, berechnet auf den Kulturetat, der für 2004 um 15 Millionen Euro erhöht wurde, nicht viel, lässt sich aber trefflich ausspielen: 250.000 der eingesparten 500.000 Euro soll das Thalia Theater bekommen. Die andere Hälfte wird an die KZ-Gedenkstätte Neuengamme gehen, die der aktuelle Senat nun doch ausbauen will – nachdem er einen unsensiblen Versuch unternommen hatte, entgegen einem Beschluss von 2001 ein Gefängnis auf dem Gelände zu belassen.

Wie trotziger Zynismus wirkt deshalb die Tatsache, dass die Kultursenatorin seither jedwede Kürzung ihr unliebsamer Institutionen – Kunst im öffentlichen Raum, Frauenmusikzentrum und jetzt die Geschichtswerkstätten – mit dem Mehrbedarf der KZ-Gedenkstätte begründet.

Dabei kommen deren steigende Bewirtschaftungskosten nicht überraschend: In einem Senatsbeschluss von 2002 wurde für 2003 ein Mehrbedarf von 321.000 Euro errechnet; erhalten wird die Gedenkstätte ohnehin nur 255.000 Euro. Und die werden jetzt kurzfristig den Geschichtswerkstätten genommen. Indiz für eine fahrige Haushaltsplanung? Behörden-Sprecher Andreas Ernst jedenfalls sagt, „dass wir den Mehrbedarf für 2003 ja erst mal errechnen mussten; erst dann kann man überlegen, wo man einspart“.

Eigenartige Zahlenspiele, doch Rechnen ist der Senatorin Sache nicht, wohl aber der Versuch, die Kulturszene zu spalten. Ein Prozedere, das wenig fruchtet: „Ich würde es zutiefst bedauern, wenn die Geschichtswerkstätten schlössen“, sagt Detlef Garbe, Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme. „Die Stadtteilarchive, auf deren Fundus wir oft zurückgreifen, sind wichtige Partner für uns.“ In der Tat lagern dort etliche Dokumente, die Institutionen wie die Staatsbibliothek niemals bearbeiten könnten: „In der Erforschung dieser Mikrogeschichte liegt unsere Stärke“, betont Susanne Falkenhof, Leiterin des Geschichtskontors Bergedorf. „Menschen aus dem Stadtteil vertrauen uns Fotos und andere Materialien an, die wir archivieren und zugänglich machen.“

25.000 Fotos hat zum Beispiel die Geschichtswerkstatt Hamm gesammelt, „und für die Pflege dieses Archivs können wir nicht nur Ehrenamtliche einsetzen“, sagt Leiter Gunnar Wulf zum Vorschlag der Senatorin, die Werkstätten durch verstärkten Einsatz unbezahlter Kräfte lebendig zu erhalten. Auch die Lagerung der Archive in den Stadtteilkulturzentren – eine weitere Idee Horákovás – sei nicht möglich: „Die soziokulturellen Zentren haben enge Raumvergabe-Pläne, weil sie große Beträge selbst erwirtschaften müssen. Die können kein Archiv zusätzlich lagern“, weiß Wulf.

Auch die Betreuung von Museen – etwa des norddeutschlandweit einzigen erhaltenen unterirdischen Röhrenbunkers in Hamm – würde bei Streichung der Gelder unmöglich. Aus eigener Kraft hat die Geschichtswerkstatt den Bunker instand gesetzt. Aufgrund der Feuchtigkeit muss er dauerhaft gepflegt werden. In drei bis vier Führungen pro Woche bekommen dort vor allem Schulklassen die Möglichkeit, Geschichte hautnah nachzuerleben. „1.000 Personen besuchen jährlich den Bunker, 3.000 das Hammer Archiv – ein Service mit regelmäßigen Öffnungszeiten und Telefondienst, den man nicht durch Ehrenamtliche abdecken kann“, sagt Wulf.

Die Pflege der denkmalgeschützten ehemaligen Drahtstifte-Fabrik in Ottensen, die die dortige Geschichtswerkstatt betreibt, wäre ebenfalls nicht mehr gewährleistet. „Wir halten das Gebäude instand, organisieren Ausstellungen – Dinge, die wir nicht mehr anbieten könnten, würden die Zuschüsse gestrichen“, bedauert Brigitte Abramowski, Geschäftsführerin des Stadtteilarchivs Ottensen. „Im Ernstfall stünde hier ein Denkmal leer, das jährlich 7.000 Besucher anzieht.“

Publikationen und Zeitzeugenbefragungen ergänzen hier – wie bei allen Geschichtswerkstätten – die Arbeit. Ein großes Auswanderer-Projekt organisiert derzeit etwa die Geschichtswerkstatt Wilhelmsburg. Auf der dortigen Veddel-Insel lag einst die Auswandererbaracke der Hapag Lloyd. Anlass für die Geschichtswerkstatt, heute hier lebende Einwanderer über Ängste und Hoffnungen zu befragen. Eine künstlerische Spurensuche soll im Herbst folgen. Und wenn auch nicht alle ehemaligen Emigranten in den Brooklyner Stadtteil Williamsburg übersiedelten, reizt es Geschichtswerkstatt-Leiterin Margret Markert doch, Analogien zwischen beiden von Einwanderung geprägten Stadtteilen zu finden.

Ein auf mehrere Jahre angelegtes Projekt, für das die Kulturbehörde 2002 bereits eine Anschubfinanzierung bewilligt hatte. Geld, das ins Leere gelaufen wäre, ließe man das Projekt jetzt sterben. Aber solche Details hat die Kultursenatorin bei ihrer Sparentscheidung vermutlich nicht bedacht.