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Archiv-Artikel

Der weich gespülte Diktator

Saddam Hussein hatte ein weiches Herz – könnte man glauben, wenn man die deutsche Ausgabe seines Liebesromans liest. Tatsächlich hat der Verlag jedoch alle verstörenden Passagen getilgt

VON ARIEL MAGNUS

Nicht nur der Name des Autors schmückt in erhabenen goldenen Buchstaben die Titelseite des Hardcovers, auch ein Foto zeigt den Schriftsteller in nachdenklicher Haltung. Der so stilisierte Romancier ist aber kein Bestsellerautor, sondern ein Diktator, des Völkermordes verdächtig – und kurz davor, sich deswegen vor einem Gericht verantworten zu müssen. Der Verlag will uns staunen machen: ein Roman von Saddam Hussein?

Ein Roman? Von Saddam!?

Dabei weiß die Welt längst von „Zabibah und der König“. Schon im Jahr 2000 ist das Buch im Irak erschienen, 2001 ist es in die Hände der CIA gefallen, die nach dreimonatiger Untersuchung des Inhalts ihre Ergebnisse in der New York Times veröffentlichen ließ. Im vergangenen Jahr sind einige Übersetzungen veröffentlicht worden. Doch die erst vor kurzem beim Thomas-Bauer-Verlag erschienene deutsche Ausgabe von „Zabibah und der König“ ist die erste, bei der Saddam Hussein zweifelsfrei als Autor angenommen wird. Erstmals findet sich auf dem Titel der vergoldete Zusatz, es handele sich um „eine Liebesgeschichte“.

Die ursprüngliche Einleitung dagegen, in der der eigentliche Schriftsteller seine Anonymität mit der Anonymität der Märtyrer gleichsetzt, fehlt völlig. Es ist aber nicht die einzige Unterlassung, die diese Ausgabe so merkwürdig macht.

Wer in der Ausgabe des Thomas-Bauer-Verlags nach antisemitischen oder antiamerikanischen Ausfällen sucht, kann lange suchen: Hier ist kein Wort davon zu lesen. Im Gegenteil: Auf den deutschen Leser dürfte es eher ökumenisch wirken, wenn Saddam in seiner Ode an die „wundersamen Ereignisse“ in der Geschichte des Irak auch die Geburt Abrahams als „Stammvater aller Propheten“ erwähnt. Was stimmt hier nicht?

„Ein raffiniert geschriebenes, intelligentes Buch, das einen bis zur letzten Seite fesselt“, wird auf der Rückseite des Buches ein „führender CIA-Beamter“ zitiert. Abgesehen von der unangenehmen Vorstellung, das Buch von eines Diktators könnte uns „fesseln“: das Zitat ist frei erfunden. Es sei denn, der Verlag hat bessere Verbindungen zur CIA als die New York Times, die den betreffenden Geheimdienstbericht abgedruckt und hat und wo kein solches Urteil zu finden ist.

Auch wird in der New York Times ein ganz anderer Schlusssatz des Romans kolportiert: „Hoch lebe Zabibah! Hoch lebe das Volk! Hoch lebe die Armee!“ In der deutschen Ausgabe soll das Volk leben, von der Armee ist weit und breit keine Spur. Auf diese Weise wirkt das im Original und – auch in allen anderen Übersetzungen militaristische – „finale furioso“ auf den deutschen Leser eher pazifistisch.

Um diese wohlmeinende Zensur zu betonen, wurden dem Schluss zwei milde Absätze hinzugedichtet, in denen es um die Rolle der Frau geht. Wahrscheinlich in der naiven Vorstellung, das könnte den Feministen gefallen, steht dort, dass „hinter jedem großen Mann eine bedeutende Frau steckt“. Seltsam, um mit Borges zu sprechen, wie sehr das Original der Übersetzung untreu sein kann. Wenn wir hinterfragen, wie es zu diesen Unstimmigkeiten gekommen ist, wird alles noch viel seltsamer.

Doris Kilias, die auch die Werke des ägyptischen Literatur-Nobel-Preisträgers Nagib Machfus ins Deutsche überträgt, hat das Saddam-Buch übersetzt: „Ich habe keine Korrekturfahnen bekommen“, erklärte sie der taz. Die Unprofessionalität des Verlages, der sonst keine Belletristik herausgibt, sei ihr aber schon aufgefallen: „Die wussten nicht einmal, wie ein Vertrag aussah. Und als ich Beteiligung am Gewinn wollte, haben sie gemeint, ein Prozent ginge an die irakischen Kinder, und wenn ich mich an der Auflage beteiligen wollte, dann könnten sie nichts an die irakischen Kinder geben.“

Ein Vergleich mit der vorliegenden Originalübersetzung zeigt, dass das Maß an Veränderungen gegenüber dem schließlich veröffentlichten Buch kaum zu übertreffen ist. Einerseits wurden mehrere Seiten rausgeschnitten, andererseits aber ganze Szenen hinzugefügt.

Durch die Zusätze wollte man offensichtlich, wenn auch vergeblich, den statischen Dialogen mehr Schwung geben und die unklaren Passagen erhellen – was jedoch meistens misslingt. Die kitschigen Ergänzungen („Mit funkelnden Augen stützte sie sich im Krankenbett auf, und die Leidenschaft ihrer Worte erschreckten den König“) und kalenderreifen Aphorismen („Wer lügt, schleppt die Wahrheit als Bürde mit sich herum“) zeugen von einer minutiösen und bewussten Durcharbeitung des Textes. Steht zum Beispiel in Kilias’ Original: „Ihren Augen, Wangen, Lippen war anzusehen, welches Glücksgefühl sie erfüllte“, so wird in der gedruckte Ausgabe alles „orientalisiert“ zu: „Ihren Augen, ihren glühenden Wangen, ihren bebenden Lippen war anzusehen, in welche Strudel von Gefühlen der Antrag des Königs sie riss.“

Im Original ist das Verhältnis zwischen Zabibah und dem König keusch. In der deutschen Fassung dagegen schläft Zabibah im Palast und erscheint am anderen Tag „strahlend schön“. Der Verlag war offensichtlich so tief beeindruckt von seiner eigenen dichterischen Fähigkeit, dass ein Teil der erfundene Szene im Klappentext zitiert wird.

Interessanter als die Zusätze sind nur die vom Verlag unternommenen Streichungen. Das beginnt schon mit der Wortwahl: Märtyrer werden zu diffusen „Opfern“, bewaffnete Streitkräfte und Armeen zu märchenhaften „Heeren“, Vaterland erscheint lediglich als harmloses „Land“.

Wenig schmeichelhafte Passagen über Frauen wurden kurzerhand getilgt. So schreibt Saddam Hussein: „Wird die Frau nicht immer weitaus stärker als der Mann von dem Wunsch getrieben, Rache zu nehmen? Hat sie sich erst einmal an ihr Opfer herangepirscht, wird sie ihm genüsslich die schlimmsten Qualen und Niederlagen zufügen.“ In der Version des Thomas-Bauer-Verlags fehlt nicht nur diese Stelle völlig.

Auch die Geschichte eines „verfluchten“ und „habgierigen“ Mannes, der unreinen Honig verkauft und der dadurch „im Lauf der Zeit eine sagenhafte Summe von Schekel häufte“, entgeht dem deutschen Leser. Auch wird unterschlagen, dass ein gewisser „Schamil, ein Krämer“, eigentlich als „der Jude Schamil“ eingeführt wird. Ebenso bleibt den deutschen Lesern erspart, dass der Autor Juden als durchtriebene Geschäftsleute schildert oder die „Mischehe“ verdammt: „Die Frucht eines wertvollen Baums ist wertvoll, und die Frucht eines kranken Baums ist krank.“

Wohlmeinend und dumm

Mit diesen Vorwürfen konfrontiert, ließ der Thomas-Bauer-Verlag verlauten, dass man kein politisches Buch, schon gar nicht ein antisemitisches Pamphlet herausgeben wollte. Daher die unvermeidlichen Kürzungen. Das klingt dumm, ist aber sehr wahrscheinlich keine Ausrede. Dem Verlag böse Absichten zu unterstellen, hieße ihn zu überschätzen. Seine Version von Saddam Husseins Roman ist insofern eine wohlgemeinte Übertragung ins Deutsche, da sie die Klischees des Okzidents in seiner Betrachtung des Orients ganz getreu wiedergibt – mithin das ganze Werk also dem deutschen Leser bekömmlicher macht.

Wo die Sprache nicht blumig genug ist, wird sie blumiger gemacht, wo die erwartete Erotik nicht auftaucht, muss man sie andeuten. Sogar die antisemitischen Obertöne wurden zu „subtilen“ Untertönen gemacht, um sie dem speziellen deutschen, tabubeladenen Umgang mit dem Thema anzupassen: die ausdrücklich bösartigen Juden der Originalversion werden in einem hinterlistigen, versteckt agierenden und sehr geschickten Geschäftsmann übersetzt.

Die verfälschte „Liebesgeschichte“ Husseins ist somit untauglich, ja sogar kontraproduktiv, um sie als „Chance“ zu verstehen, in seine „Gedankenwelt einzutauchen“, wie es im deutschen Prolog des Buches heißt. Als literarisches Werk langweilig und ziemlich uninteressant, verliert es somit seinen einzig denkbaren Wert – den eines zeitgeschichtlichen Dokuments.

Indem der Verlag dem deutschen Leser „die andere Seite“ eines sehr unangenehmen Autors zu zeigen vorgibt, zeichnet er eigentlich ein sehr unangenehmes Bild des deutschen Lesers.