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Archiv-Artikel

Fairness im Handel mit Agrarprodukten

Exportsubventionen der EU könnten fallen. Große Entwicklungsländer und Industrieländer verhandeln bei Unctad-Konferenz in São Paulo. Ein Durchbruch für weltweite Zollsenkung und Liberalisierung scheint nicht ausgeschlossen

GENF taz ■ Im brasilianischen São Paulo könnte sich in dieser Woche entscheiden, ob die Industriestaaten des Nordens den Schutz für ihre Bauern reduzieren. In der Hafenstadt am Südatlantik tagt die UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (Unctad). Ein wichtiges Thema: Verringern die USA, Europa und Japan ihre Agrarzölle und Subventionen, damit die Bauern der Entwicklungsländer mehr exportieren können? Am Rande der Konferenz wollen sowohl die mächtigen Agrarnationen der Welt – USA, EU, Australien, Brasilien und Indien – als auch die Entwicklungsländergruppe G20 auf jeweils höchster Ebene zusammentreffen, um mögliche Kompromisse auszuloten.

Die Ministerrunde der Welthandelsorganisation (WTO) war im vergangenen Sommer im mexikanischen Cancún mit einem Eklat zwischen Nord und Süd geendet. Jetzt soll bis Ende Juli eine Rahmenvereinbarung für die weiteren Verhandlungen beschlossen werden. Gelingt dies nicht, dürfte die nach ihrem ersten Tagungsort benannte Doha-Runde wegen der Neubesetzung der EU-Kommission und der US-Präsidentschaftswahlen einstweilen gescheitert sein.

Ein WTO-Sprecher macht jedoch „ein Gefühl von Optimismus“ aus. Aber ohne vorherige Einigung bei den laufenden Agrarverhandlungen werden sich die Entwicklungsländer auch bei den anderen Themen der Doha-Runde – Marktzugangsregeln für Industriegüter, Dienstleistungen sowie Investitions- und Wettbewerbsregeln – quer stellen. Schließlich war die Doha-Runde als „Entwicklungsrunde“ an den Start gegangen.

„Für nur 3 Prozent der Bevölkerung der EU, also für eure Landwirte, lasst ihr hunderte von Millionen von Kleinbauern in anderen Ländern leiden“, warf der WTO-Unterhändler eines Entwicklungslandes den Vertretern aus dem Norden vor. „Die EU exportiert auf aggressivste Weise Zucker und Milch in mein Land und zerstört damit die Existenz zahlreicher Bauern, während ich das umgekehrt nicht machen kann, weil die EU ihre Märkte dichtmacht.“ Der Agrarexperte des Evangelischen Entwicklungsdienstes (EED), Rudolf Buntzel-Cano, fordert daher: „Wenn es den Industrieländern ernst ist mit dem Bekenntnis, dass der internationale Handel der Armutsbekämpfung dienen soll, dann müssen Zugeständnisse an die Adresse der Entwicklungsländer her.“

Mit der Gründung der G 20, einer Gruppe zumeist größerer Entwicklungsländer unter Führung von Brasilien, Indien und China, haben sich die Machtverhältnisse in der WTO jedoch spürbar verändert. Jetzt steht die Gruppe kurz vor dem Ziel, einen Kompromiss mit dem Norden zu erreichen. So war die EU vergangenen Monat einen großen Schritt auf die Entwicklungsländer zugegangen. Sie bot an, sämtliche ihrer Exportsubventionen abzuschaffen, mit denen sie beispielsweise überschüssiges Milchpulver oder Zucker zu Dumpingpreisen auf den Weltmarkt wirft und so die Preise ruiniert.

Die G 20 kam jetzt ihrerseits den Industrieländern entgegen. Erstmals erkannte sie an, dass auch der Norden bestimmte wichtige Agrarprodukte schützen darf, etwa Milchprodukte in der EU oder Reis in Japan.

Nun aber tritt ein neues Problem auf, an dem die Verhandlungen doch noch scheitern könnten: „Die G 20 scheint sich von den weniger entwickelten Ländern wegzubewegen“, klagte die Handelsbeauftragte eines afrikanischen Landes. Die kleineren Entwicklungsländer wollen bestimmte Produkte von allen Verpflichtungen zum Zollabbau ausnehmen und im Notfall zum Schutz ihrer Bauern und damit ihrer Ernährungssicherheit Zölle sogar erhöhen können. Die großen Agrarexporteure der G 20 wie Brasilien oder Argentinien lehnen jedoch allzu weitgehende Handelsbeschränkungen auch auf der Seite der Entwicklungsländer ab.

„Ein WTO-Durchbruch ist nur möglich, wenn die G 20 den ärmeren Entwicklungsländern entgegenkommt und diese umgekehrt die Führungsrolle der G 20 anerkennen“, meint EED-Mitarbeiter Buntzel-Cano. In São Paulo könnte ein erster Schritt in diese Richtung gemacht werden. Auf der Unctad-Tagung soll ein Präferenzsystem im Süd-Süd-Handel wiederbelebt werden, das auch den kleineren Entwicklungsländern Nutzen bringen soll. Die Handelsschranken zwischen Staaten des Süden sind häufig höher als zwischen Nord und Süd. NICOLA LIEBERT