: Liechtenstein verklagt Deutschland
Die Bundesrepublik muss sich vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag verteidigen. Das Fürstentum will Entschädigung für Enteignungen in Böhmen: Deutschland habe mit fürstlichem Besitz Kriegsschulden beglichen
FREIBURG taz ■ Ab heute muss sich Deutschland in Den Haag einem merkwürdigen Prozess stellen. Das Fürstentum Liechtenstein verklagt die Bundesrepublik vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH), weil sie angeblich liechtensteinisches Vermögen zur Bezahlung deutscher Kriegsschulden eingesetzt hat. Fürst Hans-Adam von Liechtenstein verlangt deshalb Schadensersatz in nicht bezifferter Höhe.
Seine Wurzel hat der Konflikt in Böhmen. Dort besaß die liechtensteinische Fürstenfamilie seit Jahrhunderten Ländereien, Schlösser und Kunstgegenstände. Diese wurden jedoch von den Kommunisten nach dem Zweiten Weltkrieg als „deutsches“ Eigentum eingestuft und im Rahmen der so genannten Beneš-Dekrete enteignet. Und das obwohl Liechtenstein im Zweiten Weltkrieg neutral geblieben war. In der Tschechoslowakei klagte der Fürst vergeblich.
Anfang der 90er-Jahre erhielt der Streit einen neuen Dreh. Die tschechische Stadt Brünn hatte damals ein Bild, das einst dem Vater des heutigen Fürsten gehörte, an die Stadt Köln ausgeliehen. Sofort verlangte Liechtenstein eine Beschlagnahme und Herausgabe des Bildes, doch deutsche Gerichte sahen sich hierzu nicht in der Lage. Sie verwiesen auf einen Vertrag, den Deutschland 1954 mit den Alliierten geschlossen hatte. Danach sind Prozesse vor deutschen Gerichten wegen der nach dem Krieg stattgefundenen Enteignungen ausgeschlossen. Diese Haltung bestätigte später auch das Bundesverfassungsgericht sowie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte.
Seine Hoffnungen setzt Liechtenstein jetzt auf das Verfahren in Den Haag. Die Bundesregierung weist den Vorwurf, sie setze das Vermögen des Fürsten zur Begleichung deutscher Kriegsschulden ein, rundweg zurück. Weder habe sie die Enteignungen veranlasst, noch könne sie diese heute rückgängig machen.
Im jetzt beginnenden Prozess geht es allerdings erst einmal um die Zuständigkeit des IGH. Liechtenstein beruft sich auf ein Abkommen von 1957 über die friedliche Streitschlichtung, das beide Staaten unterzeichnet haben. Deutschland argumentiert, dass die Enteignungen aber bereits früher stattfanden und Tschechien das Abkommen ohnehin nicht unterzeichnet hat – Argumente, die nicht sehr überzeugend klingen.
Doch selbst wenn sich das UN-Gericht für zuständig erklärt, dann hätte der Fürst den Streit, bei dem es unter anderem um den Gegenwert von 160.000 Hektar Land geht, noch lange nicht gewonnen.
CHRISTIAN RATH