: Nibelungenschatz gefällig?
Wie ein zwielichtiger Hamburger Sporttaucher nationales Kulturgut verhökert
In der Rubrik „Raritäten/Trödel“ erschien am vorvergangenen Samstag eine Kleinanzeige in der Hamburger Morgenpost: „Schatz der Nibelungen gefunden – Angebote bitte unter Fax 040/45 33 37. Auf Wunsch faxe ich Ihnen gerne eine Liste aller Einzelstücke zu. Nur solange Vorrat reicht!“
Man hätte diese Anzeige als das Werk eines Spinners abtun können, doch der Zufall wollte es, dass Hans-Gerd Schwerdtner, der Pressesprecher der Stadt Bingen am Rhein, die Anzeige zu Gesicht bekam, denn als sie erschien, hielt er sich gerade wegen eines familiären Trauerfalls in der Alstermetropole an der Alster auf und erinnerte sich plötzlich an jenen ortsfremden Sporttaucher, der im Frühjahr 2003 tagelang bei Bingen Dinge aus dem Rhein heraufgeholt und sie zitternd und heimlich in sein Einmannzelt getragen hatte.
Schwerdtner zählte eins und eins zusammen und bat den Inserenten per Fax um die Liste der zum Verkauf stehenden Objekte. Noch am selben Tag traf die folgende, von einem gewissen Horst Tomayer unterzeichnete Antwort ein: „Sehr geehrter Herr Schwerdtner, aufgrund der großen Nachfrage kann ich Ihnen z. Zt. nur drei originale Kunstgegenstände aus dem Schatz der Nibelungen anbieten. Es handelt sich um eine Haarspange mit Blattgoldbesatz (450 Euro), einen silbernen Armreif (770 Euro) und ein Kampfschwert mit verzierter Eisenblechscheide (3.800 Euro). Die genannten Preise sind Mindestgebote zzgl. Umsatzsteuer. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.“
Hans-Gerd Schwerdtner verständigte sofort seinen Dienstherrn, denn der Fall war klar: Ein blutiger Amateur hatte ohne Erlaubnis den legendären, nach alten Mären im Rhein versenkten Nibelungenschatz gehoben oder jedenfalls Teile davon und versuchte nun, Profit aus dem nationalen Kulturgut zu schlagen.
„An diesem wunderbaren Ort“, schrieb Clemens von Brentano in einem seiner Rheinmärchen, „Da ruht der Nibelungen Hort; / Um ihn geschah wohl mancher Mord; / Hier liegen Schilde, Helm und Ringe, / Manch goldnes Heft, manch gute Klinge, / Kleinode und viel andre Dinge, / Der Frauen Zier, der Helden Wehr / Ruht da, viel tausend Zentner schwer, / Und streut das bunte Licht umher.“ Generationen von Schatzsuchern hatten vergeblich nach dem Nibelungenhort gesucht, bis Horst Tomayer auf der Bildfläche erschien.
Die Rechtslage sei „glasklar“, sagt der Entdecker Tomayer auf Befragen. Außerhalb von Privatgrundstücken seien Bodenfunde „gemeinfrei“, auch auf dem Grund von „öffentlichen Flüssen“. Er schnorchele und tauche seit mehr als dreißig Jahren in Mosel, Rhein und Lahn und sei dabei noch nie mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Anderer Ansicht sind die Vertreter der Gemeinde Bingen und des Landes Rheinland-Pfalz. Im Koblenzer Prominenten-Lokal „Zom Schöppche“ tagt seit gestern ein Gremium von Landes- und Kommunalpolitikern, Historikern, Archäologen und Juristen, die sich zum Ziel gesetzt haben, Horst Tomayer seinen Jahrhundertfund zu entwinden und die bereits verkauften Stücke beschlagnahmen zu lassen. „Dieser Mensch ist doch krank“, sagt ein Gremiumsmitglied. „Wir wissen inzwischen, dass er sogar einen aus dem Rhein gefischten Totenschädel verkauft hat, an einen Sammler aus Budapest. Der Haftbefehl ist nur noch eine Frage der Zeit.“
Horst Tomayer kann das nicht schrecken. „Ich habe wohl und treu bewahrt den Schatz der alten Kraft und Art“, erklärt er in Anspielung auf Max von Schenkendorfs berühmtes Lied vom alten Vater Rhein und zeigt den Reportern vor der Tür seines Hamburger Domizils abwechselnd den Mittelfinger und die kalte Schulter. Mit welcher Schatzgräber Tomayer aber nicht weit kommen wird, hat die Staatsanwaltschaft Hamburg nach eigenem Bekunden doch bereits ein Auge auf ihn und den Schatz geworfen. GERHARD HENSCHEL