: Frau zum Fürchten
Rebekah Wade, Chefredakteurin der Boulevardzeitung „Sun“, ist in England schon fast genauso wichtig wie ihr Boss Rupert Murdoch
aus Dublin RALF SOTSCHECK
Der Guardian hat sie Anfang voriger Woche zur „wichtigsten Frau“ im britischen Mediengeschäft ernannt. Rebekah Wade stieg in der Tabelle der 100 einflussreichsten Medienpersönlichkeiten um 47 Plätze auf Rang 6 – sie liegt nur 4 Plätze hinter ihrem Chef, dem Medienzaren Rupert Murdoch.
Murdoch hatte Wade Anfang des Jahres zur Chefredakteurin der Sun gemacht, jenes kleinformatigen Schmutzkübels, der mit seiner Comicsprache und Biertischmoral zehn Millionen Leser täglich unterhält. Die Sun, jene Parodie einer Zeitung, ist in Großbritannien seine wirkungsvollste Giftspritze. Vor den Wahlen 1997 rief das Blatt dazu auf, den Tory-Premierminister John Major in die Wüste zu schicken. Fünf Jahre zuvor hatte die bedruckte Schlachtbank noch am Wahltag eine Großoffensive gegen den damaligen Labour-Chef Neil Kinnock gestartet, der dann überraschend verlor. „Es war die Sun, die das geschafft hat“, prahlte das Blatt und hatte Recht: Ein Fünftel der Wahlberechtigten und ein Drittel der Unentschlossenen lesen das Blatt.
Wade und die Sun sind wie geschaffen füreinander. Die schlanke Frau mit den langen feuerroten Haaren wurde im Mai 1968 geboren, sie wuchs in Cheshire auf und studierte später an der Sorbonne in Paris. Ihre Karriere begann bei der seriösen französischen Architekturzeitschrift Architecture Aujourd’hui, bevor sie zurück nach England ging und bei der Post Erfahrungen im Boulevardjournalismus machte. Als das Blatt einging, wechselte sie zur Sun-Schwester, der Sonntagszeitung News of the World – als Sekretärin.
Doch bald durfte sie wieder Reportagen schreiben. Damals war sie gerade einmal 20 Jahre alt, ließ sich Fremden gegenüber aber gerne als „zukünftige Chefredakteurin der Sun“ vorstellen. In ihren Adern fließe Tinte, sagen Freunde über sie. Doch ihr erstes Engagement bei der Sun Mitte der Neunzigerjahre ging schief: Sie, die Gründerin der Organisation „Women in Journalism“, kam – wenig verwunderlich – mit Chefredakteur David Yelland nicht zurecht: Sie hatte unter anderem versucht, ihm die halb nackten Seite-3-Mädchen auszureden. Zurück bei der News of the World lief dann aber alles nach Plan, und als sie im Mai 2000 schließlich nach 150 Männerjahren die erste Chefredakteurin eines englischen Boulevardblattes wurde, schrieben die anderen Zeitungen bewundernd von der „Kometenkarriere der Feministin, die vor Rupert Murdochs Auge kam“.
Derweil wurde die Sun unter Yelland immer langweiliger, und nach knapp drei Jahren hatte Murdoch genug: Seit Januar 2003 heißt „The Editor“ bei der Sun Rebekah Wade.
An ihrem ersten Arbeitstag bei der Sun setzte Wade die übliche barbusige Frau auf den angestammten Platz und nannte sie „Rebekah aus Wapping“. Das ist der Ortsteil im ehemaligen Londoner Hafen, in den Murdochs Imperium 1986 umzog. Im Zuge der Rationalisierung feuerte der Verleger 3.000 Drucker und stellte stattdessen ungelernte Arbeiter ein. Nach 13 Monaten Arbeitskampf war die Gewerkschaft finanziell am Ende, ihre Macht gebrochen.
Wade hatte sich mit ihrer umstrittenen Blattpolitik auf einen Weg gemacht, der irgendwann zur Sun führen musste. Bei der News of the World veröffentlichte sie nach dem Mord an einer Achtjährigen die Namen und Adressen von pädophilen Straftätern. Das löste zahlreiche Akte von Selbstjustiz aus, mitunter an den falschen Leuten, weil die News of the World die Namen durcheinander gebracht hatte.
Sie deckte auf, dass Prinz Harry Drogen genommen hatte, und beendete die Karriere eines beliebten Fernsehmoderators, der bei einer Prostituierten gewesen war. Sie legte die Queen-Schwiegertochter Sophie Rhys-Jones mit einem falschen Scheich herein, dem gegenüber die Prinzessin arglos aus dem Nähkästchen plauderte. Und sie gab vor Gericht freimütig zu, regelmäßig Polizisten „Informationshonorare“ bezahlt zu haben. Bei der Sun hat sie vor kurzem von sich reden gemacht, als sie 50.000 Pfund für das erste heterosexuelle Pärchen auslobte, das beim britischen „Big Brother“ vor laufender Kamera nachweislich Geschlechtsverkehr hat. Wades Ernennung zur Sun-Chefin könnte allerdings auf ein Abrücken Murdochs vonTony Blair und New Labour hindeuten: Ihr Vorgänger Yelland hatte häufig mit dem Premierminister zu Abend gegessen, Wade legt Wert auf mehr Distanz und gilt im Grunde als konservativ. Blair kann sich auf etwas gefasst machen.