Kopf-an-Kopf-Schwund im Pott

SPD und CDU verlieren bei der Europawahl in allen Städten des Ruhrgebiets. Amerikanische Wahlbeteiligung in roten Hochburgen. Politik-Forscher: „Keine Vorentscheidung für Kommunalwahl“
VON MARTIN TEIGELER

Sozial- und Christdemokraten sind die Europawahl-Verlierer im Ruhrgebiet. Während die SPD im Revier flächendeckend zweistellige Minuszahlen einfuhr, musste die CDU ebenfalls in fast allen Städten Einbußen hinnehmen. Ruhrgebietsweit kam die SPD am Sonntag auf 33,1 Prozent (minus 13,5). Die Union erreichte 37,2 Prozent und verlor damit ein Prozent. Die Grünen verdoppelten sich fast auf 11,9 Prozent. Die FDP schaffte sechs Prozent, die PDS scheiterte an der Fünf-Prozent-Hürde.

Von den 3,92 Millionen Wahlberechtigten im Revier machten nur 38,6 Prozent von ihrem Wahlrecht Gebrauch. Im Vergleich zur letzten Europawahl 1999 verringert sich die Wahlbeteiligung um 2,1 Prozentpunkte und liegt damit um 2,5 Prozentpunkte niedriger als in NRW. „In einigen Wahlbezirken des Ruhrgebiets haben weniger als ein Drittel der Wähler teilgenommen“, so Uwe Andersen, Politik-Professor an der Ruhr-Uni Bochum, zur taz. Vor allem in den Problemstadtteilen des Reviers mit hoher Arbeitslosenquote sei die Beteiligung „dramatisch“ zurückgegangen. Der Wahlboykott besonders in den SPD-Hochburgen werde von vielen Bürgern als gezieltes Mittel eingesetzt. „Von Rot-Grün enttäuschte SPD-Anhänger wählen die Enthaltung als politische Option“, so Andersen. Diese sozialdemokratische Wählergruppe sei frustriert und verteile „Denkzettel“, sei zugleich aber nicht bereit, die CDU oder eine andere Partei statt der SPD zu wählen.

Dieses „flexible Wählerverhalten“ habe dazu geführt, dass die Union nicht von der Schwäche der Sozialdemokratie profitieren konnte. In Prozentpunkten und absoluten Zahlen musste die CDU Verluste in fast allen Revier-Städten hinnehmen. CDU und SPD liefern sich nun vielerorts ein Kopf-an-Kopf-Rennen auf niedrigem Niveau, im 30-Prozent-Bereich. Die Konservativen haben in Städten wie Dortmund und Essen die Nase vorn, während die SPD stärkste Kraft in alten Hochburgen wie Herne, Gelsenkirchen, Oberhausen, Duisburg und Bochum bleibt. Politikwissenschaftler Andersen will deshalb auch nichts von einer Vor-Entscheidung für die NRW-Kommunalwahl am 26. September wissen: „Der Wähler verhält sich wie Flugsand. In drei Monaten kann viel passieren.“

Weiteres SPD-Hoffnungszeichen: das starke Abschneiden der Grünen. Gemeinsam mit der nun zweistelligen Öko-Partei könnten die Sozialdemokraten in vielen Städten eine Ratsmehrheit bilden. Doch auch die „Sonstigen“ gehören zu den Gewinnern des Wahlsonntags. Neben der FDP erreichten auch sonst bedeutungslose Parteien wie die Republikaner, die Grauen, und die Tierschutz-Partei in vielen Revier-Städten zwischen drei und vier Prozent. „Die kleinen Parteien können die Kommunalwahl entscheiden“, so Andersen. Im Herbst nämlich werde es keine Fünf-Prozent-Hürde geben.

Hinweis: SPD Schwund Oberhausen (-15 Prozent)Oer-Erkenschwick (-18 Prozent)Gelsenkirchen (-14 Prozent)Herne (-14 Prozent) CDU Schwund Münster (-7 Prozent)Düsseldorf (-6 Prozent)Krefeld (-5 Prozent)Mönchengladbach (-3 Prozent)