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Archiv-Artikel

„Der Spagat der SPD ist gescheitert“

Die SPD muss deutlich machen, wo sie eigentlich steht, meint der FU-Wahlforscher Hajo Funke. Die CDU leidet noch unter den Altlasten. Wirklich erfolgreich sind in Berlin als Milieuparteien nur die Grünen und die PDS

Von AW

taz: Was war für Sie das bemerkenswerteste Ergebnis der Berliner EU-Wahl?

Hajo Funke: Das katastrophale Wahlergebnis der SPD.

Hier liegt Berlin mit 19 Prozent sogar noch unter dem Bundestrend. Hat sie hier noch mehr falsch gemacht als in der Bundespolitik?

Die SPD muss erkennen, dass ihr Versuch des Spagats zwischen Reformen, also Restriktionen im Sozialbereich und einer Orientierung hin zu sozialer Gerechtigkeit, gescheitert ist. Daraus muss sie Konsequenzen ziehen. Ich meine, die tiefe Spaltung zwischen – symbolisch gesprochen – Lafontaine und Schröder muss geheilt werden. Es muss klar werden, dass man nicht neoliberal agieren will. Man muss wissen, wo das Ende der Fahnenstange bei den Restriktionen zu erwarten ist.

Sie meinen, Sparpolitik ist eben keine Politik?

Die Kürzungen bei Hochschulen, bei Kitas, bei der Bildung – das ist insgesamt eine soziale Katastrophe. Das ist eine Gefährdung der Webstruktur dieser Institutionen, dafür muss eine Lösung her, sie muss man finden wollen.

Bundesweit suchen viele WählerInnen die Lösung bei der CDU. Das schien den Berlinern nur bedingt attraktiv. Warum?

Das Heil bei der CDU zu erwarten, ist ja auch prekär. Was den Sozialabbau angeht, haben wir zwischen SPD und CDU ohnehin nur die Wahl zwischen Pest und Cholera. Die CDU ist hier für längere Zeit wegen des Bankenskandals besonders belastet.

Trotzdem gibt es Stimmen, die für 2006 schon Schwarz-Grün am Horizont sehen. Ist das realistisch?

Ich glaube, die entscheidende Frage ist eher, wie die SPD mit dieser Katastrophe umgeht. Die CDU ist vor allem in Berlin kein Partner für die Grünen. Von den beiden Milieus her sind sie noch weit auseinander. Klar kann man das nicht ausschließen, aber ich würde es entscheidend davon abhängig machen, was für die Stadt dann an entwickelten Angeboten da ist.

Warum haben die Grünen so fantastisch abgeschnitten?

Die Grünen sind in Berlin eine profilierte, starke Bürgerrechtspartei mit sozialem Einschlag und Expertisen in Verkehrs- und Innenpolitik. Sie sind präsent und offen, offener als viele Grüne in anderen Bundesländern. Umgekehrt vermag die PDS das politisch enttäuschte Milieu zu binden. Ich glaube, dass sich diese auf die beiden Stadthälften verteilten kulturellen Hegemonien der Parteien noch lange halten werden. INTERVIEW: AW