: Der Himmel so leer
Niederlage in der Europawahl trifft SPD härter als erwartet. Wowereit will Kurs halten. Wohin, ist offen. Die Basis hofft, dass der Landesparteitag ihre Anträge für eine bessere Zukunft annimmt
VON THORSTEN DENKLER
Die Zahl schlug ein, wie ein Vorschlaghammer. 19,2 Prozent. Die in diesen Fällen gebräuchlichen Vokabeln „Enttäuschung“ und „Entsetzen“ geben nur begrenzt wieder, was den Hauptstadtgenossen durch den Kopf gegangen sein muss, als ihnen gewahr wurde: Die Partei von Ernst Reuter und Willy Brandt ist nur noch dritte Kraft. Die Grünen haben sie eingeholt.
Selbst eine personell enttäuschende CDU kann sich trotz hoher Verluste als stärkste Kraft behaupten (siehe Kasten). Niemand in der SPD sollte sich darauf verlassen, das es schlimmer nicht mehr kommen kann.
Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit versucht noch am Wahlabend mit Durchhalteparolen Ruhe in die Partei zu bringen. Die seit Bestehen der Bundesrepublik einmalige Niederlage werde „keine Auswirkungen“ auf die Sparpolitik des SPD- und PDS-geführten Senats haben, verkündete er. Es gebe keine Alternative zu „sozial ausgewogenen Reformen“. Und sagte dann: „Wir halten Kurs.“
Ein Satz, der nur scheinbar Sicherheit vermittelt. Damit nämlich ist längst nicht die Richtung definiert, in welche die Partei bis zur Abgeordnetenhauswahl 2006 schippern soll.
Einer, der diese Frage beantworten können sollte, ist Fraktionschef Michael Müller. Am Sonntag will er sich auf dem Landesparteitag im Palais am Funkturm zum Parteivorsitzenden wählen lassen. Auf die entscheidende Richtungsfrage hatte er im taz-Interview vergangene Woche nur eine magere Antwort parat: mehr Unternehmen nach Berlin locken und die längst beschlossene Schulreform umsetzen. Echte Kracherthemen für eine Partei, die derzeit als Synonym für Sparen begriffen wird.
Die SPD sieht sich im Recht mit ihrer Sparpolitik. Doch selbst wenn es so ist: Die Menschen wollen und brauchen wieder eine Perspektive. Ohne diese ergibt es schlicht keinen Sinn, SPD zu wählen. Dass aber genau dazu die Sozialdemokraten noch in der Lage wären, „nehmen uns die Bürger nicht mehr ab“, sagte Swen Schulz, Kreisvorsitzender in Spandau und Bundestagsabgeordneter, gestern der taz.
Schulz versucht es dennoch. Er und sein Kreisvorstand haben ein Antragspaket geschnürt, das sich liest, als sei es von parteiinternen Meuterern geschrieben. Die Kitagebühren sollen nicht nur runter, sondern ganz abgeschafft werden, ein klares Nein zu Studiengebühren, Nein zu einer landeseigenen Kita-GmbH, Nein zu weiteren Privatisierungen, Nein zu Elite-Universitäten. Bemerkenswert: Die Antragskommission unter der Leitung des zukünftigen Landesgeschäftsführers Andreas Matthae hat dem Landesparteitag in allen Fällen die Annahme empfohlen.
Swen Schulz beeilte sich festzustellen, dass dies kein „Kontraprogramm zur Politik des Senats“ sei. Es gibt aber eine Diskussion über das Profil der Partei. Ihre Aufgabe ist es, längerfristige Perspektiven zu erarbeiten. Die Partei ist dafür zuständig, dem Senat die Richtung zu weisen, sagt Schulz. Der wiederum muss sagen „wie wir das mit dem Haushalt hinkriegen“.
Christian Gaebler, Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD im Abgeordnetenhaus, wäre schon geholfen, wenn einige Senatoren einfach mal darauf verzichten würden, sich öffentlich zu äußern. Es sei nicht hilfreich, „wenn wir sagen, nach der Wohnungsgesellschaft GSW wird es keine weiteren Privatisierungen geben und der Finanzsenator laut darüber nachdenkt, was nach 2007 verkauft werden könnte“. Der eine oder andere solle sich fragen, ob er seine Person in den Mittelpunkt seiner Arbeit stellen wolle oder die Partei.
Ein Aufbruchsignal erwartet Gaebler nicht von dem Parteitag. Eher „Konzentration auf die wirklichen Probleme der Stadt“. Er tut gut daran, die Erwartungen nicht zu hoch zu schrauben. Die Delegierten dürfen vieles von ihrem neuen Parteichef Müller erwarten. Nicht aber eine charismatisch-flammende Rede zu halten, die der Partei wieder ein neues Selbstbewusstsein geben könnte.