Amerika hat ein Haushaltsdefizit im XXL-Maß

Krise, Steuersenkungsprogramme und Rüstung kosten mächtig Geld: Höchstes US-Haushaltsdefizit seit 20 Jahren

NEW YORK taz ■ Amerika schafft das beinahe Undenkbare: einen Haushaltsüberschuss. So lauteten zu Beginn der Amtszeit von Präsident George W. Bush vor zweieinhalb Jahren die Meldungen aus Washington. Ganz anders dagegen die gestrigen Prognosen: Das US-Haushaltsdefizit werde in diesem Jahr auf den absoluten Rekordstand von 455 Milliarden Dollar anwachsen, im nächsten Jahr sogar auf 475 Milliarden. Das wären dann 4,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.

Wären die USA Mitglied der EU, gäbe es Ärger wegen Verletzung des Stabilitätspakts, der eine Obergrenze von 3 Prozent vorgibt. Ein im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung noch höheres Defizit gab es zuletzt 1983 unter Präsident Ronald Reagan.

Drei wesentliche Gründe gibt es für die Lücke: den Konjunktureinbruch, der für etwa die Hälfte des Fehlbetrags verantwortlich ist, die Steuersenkungen, die laut Schätzungen des Weißen Hauses ein weiteres Viertel ausmachen, und die gestiegenen Militärausgaben. Dabei sind die laufenden Ausgaben für die Operationen im Irak und in Afghanistan in der Rechnung nicht einmal enthalten. „Ich glaube nicht, dass ich in meinem Leben noch einmal einen Überschuss sehen werde“, unkt Ed McKelvey, Volkswirt der Investmentbank Goldman Sachs.

Geradezu vorbildlich folgt die konservative Bush-Regierung damit den Lehren von John Maynard Keynes, der ansonsten eher von linkeren Regierungen vereinnahmt wird. Der britische Ökonom forderte, dass der Staat bei einem Abschwung Geld in die Wirtschaft pumpt. Das tut die Bush-Regierung am liebsten, indem sie die Steuern senkt. Dies soll zu höherem Wirtschaftswachstum – im nächsten Jahr angeblich schon 3,7 Prozent – und damit auch zu höheren Staatseinnahmen führen.

Nach einer ersten Steuersenkungsrunde vor zwei Jahren passierte im Mai ein zweites Paket von 350 Milliarden Dollar über zehn Jahre den Kongress – die meisten Beobachter glauben, dass die wahren Kosten näher an 800 Milliarden Dollar liegen.

Ob die der Konjunktur tatsächlich auf die Beine helfen, ist jedoch fraglich. Zum einen kommen die meisten Ermäßigungen nur den allerreichsten Amerikanern zugute, deren Konsum an physische Grenzen stößt. Zum anderen sind extrem hohe Defizite kontraproduktiv. Denn die Nachfrage des Staates nach Krediten treibt die Zinsen nach oben, was Gift für die Wirtschaft ist. Die britische Financial Times fand vor kurzem in einem Kommentar nur eine mögliche Erklärung für das Gebaren: „Die Verrückten haben die Leitung des Irrenhauses übernommen.“ Ultrakonservative Republikaner benutzten das Defizit, um einen perfiden Plan umzusetzen: Derzeit sei es nicht durchsetzbar, die Sozialhilfe oder die Gesundheitsversorgung für Rentner abzubauen. Aber wenn der Haushalt so richtig in der Krise ist, dann werden Kürzungen oder gar die Abschaffung des verhassten Sozialstaats auf einmal unausweichlich. „Ihnen genügt es nicht, die Weltordnung zu unterminieren, sie wollen auch die traditionellen Ansichten über Einkommensverteilung radikal umkrempeln“, so die Zeitung.

NICOLA LIEBERT