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Archiv-Artikel

Plus minus Brennpunkte

Städtische Vereinigung der Kindertagesstätten zieht Bilanz nach zehn Monaten Kita-Gutscheinsystem: Soziale Brennpunkte sind Verlierer

von Kaija Kutter

Mit einer, wie er fand, frohen Botschaft wartete Martin Schaedel, Leiter der „Vereinigung Hamburger Kindertagesstätten“, gestern bei seiner Jahrespressekonferenz auf: Noch im Juni beginnt die Ausgabe der Gutscheine für Krippen, auf die berufstätige Eltern seit beinahe einem Jahr warten. Denn auch die übrigen Kita-Verbände haben jetzt dem Angebot der Sozialbehörde zugestimmt, wonach bis Jahresende befristet Krippenplätze mit 30 Prozent niedrigeren Sätzen vergolten werden.

„Es ist hier ein Sonderweg gefunden worden, bei dem wir als Kita-Träger finanzielle Zugeständnisse machen“, erklärte Schaedel. Vereinbart sei, dass der Abschlag auf alle betreuten Kinder umgelegt wird, damit die gängigen Mindeststandards für Krippen, die etwa für zwölf bis 13 Kinder zwei BetreurerInnen vorsehen, eingehalten werden. Für die Vereinigung, die in 100 Kitas Krippenplätze frei hat und 1.500 zusätzliche Kinder aufnehmen könnte, bedeute dies bei insgesamt 22.000 betreuten Kindern nur eine Ressourcenabsenkung um zwei Prozent. Ungeachtet dieser Einschätzung protestierte gestern der Betriebsrat mit der symbolischen Übergabe von 100 gebastelten Sparschweinen vor dem Rathaus gegen diese Kürzung.

Die ersten „10 Monate Kita-Gutscheinsystem“, das Thema der Jahresbilanz, waren insbesondere für die Beschäftigten stressig. Zwar werden in der Summe beinahe gleich viele Kinder betreut: In allen 174 Kitas zusammen entstanden rund 1.900 neue Halbtagsplätze, denen ein Minus von rund 1.200 Ganztagsplätzen, 300 Sechs-Stunden-Plätzen und 500 Krippenplätzen gegenübersteht. Auch hat die Vereinigung bei einem Umsatz von 173 Millionen Euro einen Gewinn von 280.000 Euro. Dennoch mussten 2003 vier Prozent der Stellen abgebaut und mehr als 70 Personen an eine andere Kita versetzt werden. Während die Vereinigung die Standorte in Winterhude, Wellingsbüttel, Rissen oder Bramfeld sogar ausbauen konnte, fand in den sozialen Brennpunkten der befürchtete Abbau von Ganztags- und Krippenplätzen statt. So verloren Stadtteile wie Wilhelmsburg, Süderelbe, Rothenburgsort, auf der Veddel sowie Osdorfer Born ein Viertel der Ganztags- und ein Drittel der Krippenplätze. Von ehemals zwei auf 20 Prozent gestiegen ist dagegen der Anteil an kurzen Halbtagsplätzen ohne Mittagessen. Diese Zahlen stammen aus dem Februar, die Entwicklung ist noch nicht abgeschlossen, da viele der „Übergangsregelungen“ noch auslaufen.

Was diese Umschichtung für die Betroffenen Kinder und Erzieher bedeutet, wird in einer im Jahresbericht enthaltenen Reportage aus der Neuwiedenthaler Kita Wümmeweg deutlich. Dort magerte die sechsjährige Tochter einer allein erziehenden Mutter auf 16,9 Kilo ab, nachdem sie an der Kita-Mahlzeit nicht mehr teilnehmen durfte. Erst durch Einschreiten der Kita-Leitung und ärztliches Attest wurde erreicht, dass Merle wieder an der Mahlzeit teilnehmen durfte. Ab Januar sollen alle Kinder von drei bis sechs Jahren einen Rechtsanspruch darauf haben. Schaedel appellierte an die Politik, dies nicht über den Preis zu konterkarieren.