: Verschobener Feindbildkomplex
bewtr.: „Biskys letztes Gefecht. Die PDS kämpft bei der Europawahl ums Überleben“, taz vom 11. 6. 04
PDS-Chef Bisky bedauert, die PDS erfahre im Westen unter Linken „eine irrationale Ablehnung“. Dieser Ansicht stimme ich bei und vermute einen verschobenen Feindbildkomplex.
Während die Linke vor dem Mauerfall in rechten Widersachern „Schmuddelkinder“ ausmachte, mit denen man(n) nicht spielte und diskutierte (FJS, Springer-Konzern, DDR-Bürgerrechtler Löwenthal etc.), versteht man sich mit diesen heute recht prächtig: Biermann schreibt brav in der Welt und spielt bei CSU-Treffen am Kaminfeuer auf. In der taz zollt ein linker (?) Gastschreiber – eingedenk der eigenen Fehleinschätzungen – dem Hochrüster Reagan Respekt als Bezwinger des Kommunismus, ohne ein Wort zu verlieren über die Gefahren, die diese nunmehr unhinterfragte Hochrüstung für den Frieden der Weltgemeinschaft heute bedeutet, und die prekären Lebenslagen, die die neue Weltordnung für viele Menschen ohne Sozialabsicherung bedeutet. Eine nicht verarbeitete, lang gehegte klammheimliche Sympathie für den Realsozialismus bis in weite Kreise der SPD hinein (E. Bahr, G. Gauss; gemeinsames Positionspapier mit der SED; Stamokap-Positionen und Bündnispolitik der Jusos/Judos), deren Kritik zum Beispiel Frau Schwan die parteiinterne Ächtung einbrachte, spiegelt sich jetzt in einer Pauschalablehnung der PDS als Partei, die die eigenen historischen Verwicklungen überspielen soll.
Bei der PDS wird fast ausschließlich ihre historische Verwurzelung in der DDR-Parteigeschichte hervorgehoben und weniger eine Wertung ihrer heutigen Programmatik und Politik vorgenommen – obwohl auch die CDU und Liberale eine vergleichbare Blockflötenhistorie aufzuweisen haben. Dem Spiegel genügt ein kurze Polemik zum Wahlslogan „Es reicht!“, dem kurzerhand das Geschmäckle des Rechtsextremen verpasst wird. Der evangelische Bischof Huber, dessen Kirchenwerke historisch gesehen an Hitlers Euthanasie-Programmen für geistig Behinderte beteiligt waren, stellt die PDS in die totalitäre Ecke.
Die PDS steht programmatisch für eine entschiedene Kritik des Militarismus und des neoliberalen Sozialabbaus à la Schröder. Die PDS leistete fundierte Arbeit in der BT-Enquetekommission zum Thema „Globalisierung“, fordert eine stärkere steuerliche Belastung der Vermögenden und seit jeher die Einführung einer Ausbildungsabgabe. Die Skrupel der linken PDS-Kritiker sind insbesondere deswegen unverständlich, da den Gewerkschaften ein parlamentarischer Partner abhanden gekommen ist, seit die SPD sich mit Hartz, Agenda, Senkung von Unternehmenssteuern und Spitzensteuersatz sowie der Ablehnung einer Vermögenssteuer von gewerkschaftlich-arbeitnehmerfreundlichen Positionen endgültig verabschiedet hat, vollends ins neoliberale Lager (Neue Mitte?) abgedriftet und ein Unterschied der Regierung zur CDU/FDP-Linie kaum noch erkennbar ist. Auch in der Außenpolitik bedarf es einer stärkeren Abgrenzung zur imperialen Kriegslogik der Bush-Krieger und seines neokonservativen Anhangs, wofür die PDS steht: In Afghanistan hält die Bundesregierung den im Irak beschäftigten US-Imperialisten personell den Rücken frei, tolerierte die Nutzung der deutschen US-Militärbasen für den völkerrechtswidrigen Irakkrieg und bekämpfte in der UN-Menschenrechtskommission eine Resolution gegen die die Genfer Konvention verletzenden US-Haftbedingungen für Terrorverdächtige in Guantánamo. Terrorbekämpfung bedeutet eine stärkere Betrachtung der Verelendung der Staaten des Südens und der Problematik der sozialen Ausgrenzung (Massenarbeitslosigkeit und -verarmung) im Gefolge der neoliberalen Revolution und der sog. Zurechtstutzung des Sozialstaats, die von den jetzigen Regierungsparteien – und natürlich noch weniger von der „Opposition“ – zu erwarten ist. Durch Einfluss der Bush-Regierung kritisieren Friedensforscher eine zu starke militärische Orientierung der neuen EU-Sicherheitsdoktrin und die Einschränkung von Bürgerrechten unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung in befreundeten westlichen Staaten. Das „letzte Gefecht“ der PDS mag anstehen, sicherlich nicht aber das der Bush-Ideologen in Regierungsverantwortung.
JOHANNES DREISCHENKEMPER, Gladbeck