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Archiv-Artikel

Wenn Knackis zu teuer werden

Sogar hinter Gittern fürchtet man die Folgen von Finanz- und Wirtschaftskrise: Nicht nur in der Justizvollzugsanstalt Celle wird für die Insassen die Arbeit knapp. Mehr und mehr Auftraggeber lassen lieber im Ausland produzieren – aus Kostengründen

PRODUKTE MIT FLAIR

In Hamburgs Gefängnissen gibt es derzeit Arbeitsplätze für 1.680 Häftlinge, die Beschäftigungsquote liegt bei etwas mehr als 60 Prozent. Die Hamburger Justizbehörde ergänzte das übliche Sortiment – Tischlerei- und Schlosserei-Produkte – vor etwas mehr als zwei Jahren um Design-Objekte aus dem Strafvollzug, vertrieben im eigenen Online-Shop „Santa Fu“ (www.santa-fu.de): das Tagebuch aus original Matratzenstoff zum Beispiel, ein Set mit echten Knastpflegeprodukten oder auch T-Shirts mit dem Aufdruck „Lebenslänglich“. Der Versuch, von der verschämten Billigecke wegzukommen und aus dem Knast-Ambiente sogar offensiv Profit zu schlagen, dient immerhin einem guten Zweck: Ein Teil der Einnahmen geht an die Opferhilfe-Organisation „Weißer Ring“. TKL

VON TINA KLOPP

Gerade hat Wolfgang Schütz eine neue Anfrage auf den Tisch bekommen: Ob seine Leute auch Erotikartikel verpacken könnten. Daraus wird wohl nix. Dabei lehnt Fachbereichsleiter Schütz Aufträge so ungern ab: In den Werkshallen wären noch Kapazitäten frei. Und Arbeitskräfte gibt es eh mehr als genug. Aber seine Schützlinge sollen eben auch nicht auf dumme Gedanken kommen. Daher: Keine Sex-Toys im Knast.

Die Häftlinge der Justizvollzugsanstalt Celle müssen arbeiten, dazu verpflichtet sie das Gesetz. Wer hier untergebracht ist, hat lebenslang abzusitzen. Oder mindestens 14 Jahre – und die können lang werden. „So haben sie wenigstens Beschäftigung und soziale Kontakte, außerdem können sie sich was dazuverdienen“, sagt Wolfgang Schütz über die arbeitenden Häftlinge. Aber die Gefängnisse haben zunehmend Probleme, genug Aufträge an Land zu ziehen. Ein Lampenhersteller und ein Autozulieferer sind in den vergangenen Jahren gleich ganz abgesprungen, haben sich „gen Osten verabschiedet“, sagt Schütz, „im Zuge der Globalisierung“: Wie alle gering Qualifizierten im Inland konkurrieren Häftlinge insbesondere mit den Beschäftigten in so genannten Billiglohnländern.

Die Bügelbrettbezüge, Tischdecken, Einlegesohlen oder Schrauben, die in Celle von der Werkbank gehen, finden sich später in bekannten Handelsketten und Baumärkten wieder. „Jeder hat schon mal was gekauft, was im Knast gefertigt wurde“, ist Schütz sich sicher. Namen nennt er aber keine: Er fragt sich, „ob das Verständnis für die Knastarbeit da draußen groß genug ist“. Die Gefängnisse stehen von zwei Seiten unter Beschuss: Firmen, die ihre Aufträge lieber an unbescholtene oder noch günstigere Mitarbeiter vergeben, auf der einen Seite. Lokale Handwerksbetriebe, die von Lohndumping sprechen, auf der anderen.

Dabei richten sich die Gefängnisse nach den Tarifen für Heimarbeit. Sie müssen die Werkhallen stellen und dafür sorgen, dass auch unwillige Gefangene ordentliche Produkte abliefern. Dem Gefangenen selbst bleibt ein durchschnittlicher Tageslohn von knapp 11 Euro. Einen Teil davon muss er ansparen für die Zeit nach der Entlassung oder damit Schulden tilgen, aber ein bisschen was geht auch an den Lieferservice, der zweimal im Monat kommt: „Vor allem vor Weihnachten wollten sich viele was gönnen“, erzählt Schütz. „Wenn dann weniger zu tun ist, schlägt das auf die Stimmung.“ Süßigkeiten, eine neue Bratpfanne oder einen Festtagsbraten, wegen der Infektionsgefahr allerdings kein Geflügel – die Häftlinge können sich auch selbst bekochen. Wer lange genug spart, leistet sich einen Fernseher. Reichtümer werden dabei nicht angehäuft. Zum einen muss aus Sicherheitsgründen „die Übersichtlichkeit der Zelle gewahrt bleiben“. Mehr als 40 Euro im Monat bleiben ohnehin selten.

Insgesamt macht der niedersächsische Justizvollzug einen jährlichen Umsatz von 22 Millionen Euro in den Werken. Aber es geht nicht ums Geld, nicht mal hauptsächlich. „Am billigsten wäre es, die Jungs 24 Stunden sitzen zu lassen“, sagt Jens Klotzsch, Leiter des Landesbetriebes Justizvollzugsarbeitsverwaltung. Es geht um Resozialisierung. Klotzsch’ Ziel ist es, den Mehraufwand von Personal, Qualitätskontrollen und Werkshallen durch die Einnahmen wieder einzuspielen. „Im Moment geht das ganz gut auf“, sagt er. Doch auch Klotzsch fürchtet, dass im Krisenjahr 2009 Aufträge wegbrechen könnten.

Das Mitleid mag sich angesichts dessen in Grenzen halten – schließlich droht derzeit noch viel mehr Menschen Arbeitslosigkeit. „Dem Strafziel der Resozialisierung kommt Verfassungsrang zu“, sagt dagegen die Hamburger Kriminologin Bärbel Bongartz. Zudem sei laut Gesetz „das Leben im Vollzug den allgemeinen Lebensverhältnissen“ soweit als möglich anzupassen. Hat der Gefangene hinter Gittern gearbeitet, sich gar weiterqualifiziert, steigen seine Chancen, nach der Entlassung Arbeit zu finden. Und es geht auch um die psychische Verfassung der Inhaftierten. Der Leidensdruck von „‚Arbeitslosen‘ in Haft“, sagt Bongartz, sei „sehr groß“.