: „Bundeswehr muss mehr Präsenz zeigen“
Der Kommandant der Bundeswehrtruppe in Kundus, Oberst Reinhard Kuhn, über die Sicherheit in Afghanistan
taz: Der Anschlag gegen chinesische Arbeiter bei Kundus vergangene Woche war der bisher größte Angriff auf ausländische Zivilisten in Afghanistan. Welche Konsequenzen ziehen Sie?
Reinhard Kuhn: Die Wahlen stehen vor der Tür, und die Taliban haben verstärkte Anschläge auf Ausländer angekündigt. Die Sicherheitslage muss aber nicht neu überdacht werden. Anschläge waren und sind immer möglich. Wir gehen weiter davon aus, dass die nördlichen Provinzen nicht stabil sind. Das Attentat auf die Chinesen hat gezeigt, mit welcher Brutalität versucht wird, Afghanistans Entwicklung zu stören. Allen Ausländern ist größtmögliche Vorsicht bei allen Überlandfahrten anzuraten, ebenso Begleitung durch bewaffnete afghanische Wächter. Ungesicherte Übernachtungsplätze sind unbedingt zu vermeiden.
In Deutschland kamen Diskussionen auf, ob der Einsatz deutscher Soldaten in Afghanistan sinnvoll ist. Ist das nicht genau das, was die Attentäter bewirken wollen?
Natürlich, sie wollen den Reformprozess stören. Das Konzept der bewaffneten regionalen Wiederaufbauteams darf nicht angezweifelt werden. Wir müssen der Bevölkerung zeigen, dass wir hier sind und auch bleiben. Es darf kein Nährboden für Terroristen entstehen. Deshalb müssen wir noch mehr Präsenz zeigen. Die große Mehrheit der Bevölkerung will uns hier haben.
Ist ein Schutz vor Anschlägen möglich?
Angesichts der zurzeit parallel laufenden Wählerregistrierung, der Entwaffnung ehemaliger Mudschaheddin und der Drogenbekämpfung können neue Anschläge nicht völlig ausgeschlossen werden. Ein Angriff auf das bewaffnete Wiederaufbauteam ist aber relativ ausgeschlossen, da wir gut bewacht und kein weiches Ziel sind. Auch sind wir in die Bevölkerung mit eingebunden und haben mit lokalen Autoritäten und Organisationen ein gutes Frühwarnsystem aufgebaut. Die Bevölkerung hat die Nase voll vom Krieg. Sie wünscht sich Stabilität und Sicherheit. Wenn die Attentäter von hier kommen, haben sie keine Chance unterzutauchen.
Trotzdem wurden elf Chinesen im Schlaf ermordet.
Sie waren aber von den Behörden darauf hingewiesen worden, sich besser zu schützen. Es gab nur zwei Wachen, und die Zelte standen am Straßenrand. Hätten die Chinesen innerhalb der Mauern geschlafen, hätte es den Anschlag wohl nie gegeben.
Wer steckt dahinter?
Die Ermittlungen laufen noch, es war wohl ein Terroranschlag.
Was muss getan werden, um Afghanistan zu stabilisieren?
Alle Volksgruppen und Warlords müssen in die Wahlen einbezogen werden. Starke Männer wie Raschid Dostum, Ismael Khan und Mohammed Atta sollten Regierungsposten erhalten, weil sonst Konflikte vorprogrammiert sind. Diese Männer haben eine entscheidende Rolle im Krieg gespielt und gelten als Helden. Sie werden sich nicht mit niedrigen Posten zufrieden geben. Präsident Karsai weiß, dass er nur mit Hilfe dieser Männer das Land stabilisieren kann. Für die Bevölkerung spielt es keine Rolle, wer die Macht hat, solange sich die Sicherheit verbessert. INTERVIEW: CARSTEN STORMER