piwik no script img

Archiv-Artikel

Für Gott und den Stabilitätspakt

Obwohl viele strittige Verfassungsdetails inzwischen geklärt werden konnten, bleiben einige knallharte Machtfragen

BRÜSSEL taz ■ Der irische Regierungschef Bertie Ahern schlug in seinem Einladungsbrief an die EU-Staatschefs einen beschwörenden Ton an: „Die Zeit ist jetzt reif, um eine faire und ausgewogene Einigung zu erreichen. Wir müssen eine Verfassung schaffen, die wir unseren Bürgern vorlegen können, weil sie die Union effektiver, demokratischer und durchschaubarer macht.“

Angesichts der nun schon über ein Jahr dauernden Verhandlungen hinter verschlossenen Türen kommt dieser fromme Wunsch wohl zu spät. Die Transparenz, die mit dem öffentlich erarbeiteten Ergebnis im Konvent erreicht worden war, ist dahin. Die Regierungen werden aber – auch angesichts der Quittung, die frustrierte Wähler den Europapolitikern bei der Wahl ausgestellt haben – versuchen, die Verfassung wenigstens in einigen Punkten funktionstauglicher zu machen, als es der Nizza-Vertrag gewesen ist.

Die Regie der Iren scheint aufzugehen. Die meisten Streitpunkte wurden beim Außenministertreffen Anfang der Woche in Luxemburg vom Tisch geräumt. Zur Begrüßung wird Bertie Ahern seinen Kollegen heute zwei Papiere vorlegen: eins mit einer langen Liste von Punkten, die er als geklärt betrachtet. Ein zweites mit den wenigen Fragen, die sich die Chefs für die Schlussrunde aufgehoben haben. Wer dem Gastgeber entgegentreten und schon abgehakte Punkte zurück auf den Verhandlungstisch holen will, wird ziemlich viel Nervenstärke brauchen.

Eine Einigung scheint es bei der viel diskutierten doppelten Mehrheit zu geben. Sie ist erreicht, wenn 55 Prozent der Staaten zustimmen, in denen mindestens 65 Prozent der Unionsbürger leben. Bezogen auf die derzeitige Größe der Union bedeutet das, dass 14 Staaten mit insgesamt 295,7 Millionen Einwohnern eine Entscheidung durchsetzen könnten. Für ein Veto müssen sich mindestens vier Länder zusammentun. Damit wird der Vorbehalt der kleinen Staaten berücksichtigt, die sich nicht von drei bevölkerungsreichen Ländern aushebeln lassen wollen.

Geeinigt hat man sich also auf die Form. Die brisantere Frage, ob die qualifizierte Mehrheit tatsächlich zum Regelfall wird oder ob wichtige Fragen wie Steuern und Außenpolitik auch künftig einstimmig beschlossen werden müssen, steht weiterhin auf der Liste ungeklärter Punkte.

Mehr Klarheit gibt es auch bei der Organisation der Institutionen. Für jeweils zweieinhalb Jahre soll ein Präsident die europäischen Gipfeltreffen vorbereiten und leiten. Die Fachminister sollen für jeweils 18 Monate unter Regie einer Gruppenpräsidentschaft stehen. Die Kommission soll ab 2014 wieder schrumpfen von 27 auf 18 Mitglieder. Ob der EU-Außenminister bereits der neuen Kommission im November angehören soll oder weiter beim Rat angesiedelt bleibt, ist unklar. Auch diese Änderung würde die Machtbalance zwischen den Ländern beeinflussen. Bekäme der Spanier Solana den Posten, müsste sein Landsmann, Währungskommissar Almunia, die Kommission verlassen. Würde Joschka Fischer gewählt, hätte Günter Verheugen keine Chance, Wirtschaftskommissar zu werden.

Bis zum letzten Moment wird ausgerechnet um den Gottesbezug in der Präambel gerangelt. Dabei zeigen Umfragen, dass sich die Bürger für dieses Thema weit weniger interessieren als für den Zustand der Umwelt. Die Deutschen wollen außerdem erreichen, dass gleich hinter dem lieben Gott auch der Preisstabilität ein Ehrenplatz im Text eingeräumt wird: Sie soll als eins der Unionsziele neben Gleichberechtigung und Umweltschutz gestellt werden.

Welchen Stellenwert dieser vordere Teil der Verfassung für Berlin hat, zeigt die Tatsache, dass es sich massiv dagegen wehrt, der EU-Kommission eine stärkere Stellung im Defizitverfahren zuzubilligen. Wie bisher sollen die Finanzminister das letzte Wort haben, ob Haushaltsauflagen von einem Land mit übermäßigem Defizit tatsächlich umgesetzt werden müssen. So gilt es neben einem Schuss Präambel-Lyrik auch noch einige knallharte Machtfragen zu klären. DANIELA WEINGÄRTNER