Tiefer Fluss im sicheren Hafen

Elbe und Weser ausbaggern, Tiefwasserport in Wilhelmshaven bauen und die Autobahn A20 auch: Die vier norddeutschen Regierungschefs verkünden neue Gemeinsamkeit in der Hafen- und Wirtschaftspolitik, die nicht frei von Widersprüchen ist

Wenn die Elbe vertieft wird, dann wird der Jade-Weser-Port in Wilhelmshaven eine Investitionsruine

aus Hannover und Hamburg Kai Schöneberg
und Sven-Michael Veit

Wenn die Regierungschefs von vier Ländern sich auf etwas einigen, worauf sie sich jahrelang nicht einigen konnten, bleiben gewöhnlich Opfer auf der Strecke. Das wird dann meist „bedauerlich, aber unumgänglich“ genannt, um das letztlich erzielte übergeordnete Gemeinsame zu ermöglichen. Und wenn, wie zumeist, die Kooperation eine vornehmlich ökonomische ist, muss über das Geopferte nicht lange gerätselt werden. So auch gestern, als ein Viererbeschluss zur künftigen Hafen- und Infrastrukturpolitik in Norddeutschland verkündet wurde.

In trauter Viersamkeit verkündeten Heide Simonis (Schleswig-Holstein), Henning Scherf (Bremen, beide SPD), Christian Wulff (Niedersachsen) und Ole von Beust (Hamburg, beide CDU) ihre grundsätzliche Zusammenarbeit bei weiteren Ausbaggerungen von Elbe und Weser, beim Bau des Tiefwasserhafens in Wilhelmshaven und der Autobahn A20. All diese Projekte stünden „nicht in Konkurrenz zueinander, sondern sind Bestandteil einer gemeinsamen Politik, die eine nachhaltige Stärkung der maritimen Wirtschaft in Norddeutschland zum Ziel hat“, heißt es in der zweiseitigen Erklärung, die am Rande der Ministerpräsidentenkonferenz in Berlin unterzeichnet wurde.

Die Häfen an der Nordsee hätten noch erhebliches Wachstumspotenzial, befand Wulff. Daher nähmen die vier Länder mit dem Ausbau der Häfen „eine gesamtdeutsche Aufgabe“ wahr.

Der Norden müsse wegen der starken Konkurrenz vor allem durch den weltgrößten Containerhafen Rotterdam „die Region zusammenschweißen, damit sie standhalten kann“, globalisierte von Beust. Bei „wichtigen Zukunftsprojekten“ dürften die vier Küstenländer sich „keine Knüppel mehr zwischen die Beine werfen lassen“.

Dabei hatte gerade der Hamburger CDU-Senat den Plan einer Beteiligung am Jade-Weser-Port in Wilhelmshaven vor zwei Jahren fallen lassen aus Angst, dem eigenen Hafen Konkurrenz zu machen. Ob die Hansestadt in das Gemeinschaftsprojekt wieder einsteigen will, ließ der Bürgermeister vorerst jedoch offen. Allerdings steht er unter erheblichem Druck der Hamburger Hafenwirtschaft, die Option Wilhelmshaven zu nutzen, da sie eh nicht zu verhindern sei.

In dem gemeinsamen Papier werden auch die Elbquerung im Zuge der geplanten Autobahn 20 westlich von Hamburg und deren Anbindung an Hannover und Bremen genannt. Außerdem wird die Elektrifizierung der Bahnstrecke Hamburg-Lübeck als gemeinsames Ziel erwähnt.

„Wie tief soll die Elbe denn noch werden?“, fragte entsetzt der niedersächsische Landesverband des NABU. Die vier Regierungschefs hätten den Fluss samt Anwohnern „verkauft“. Bislang seien die ökologischen Folgen aller sechs früheren Elbvertiefungen von der Politik herunter gespielt worden. „Hinterher ist die Verwunderung groß, wenn sich die Natur nicht so verhält, wie vorher theoretisch berechnet worden ist“, sagte Nabu-Landeschef Hans-Jörg Helm.

Als Wortbruch werteten die niedersächsischen Grünen die Vereinbarung. „CDU-Fraktionschef David McAllister ist im Wahlkampf mit seiner Ablehnung der Elbvertiefung auf Stimmenfang gegangen. Jetzt gibt seine Regierung die Zustimmung“, ärgerte sich der Hafenpolitiker Hans-Joachim Janssen. Zudem seien Elbvertiefung und Tiefwasserhafen zusammen „ökonomischer Unsinn“. Von einem „ruinösen Ausbau-Wettlauf“ sprachen die Bremer Grünen.

„Wenn die Elbe so weit vertieft wird, dass auf absehbare Zeit alle Containerriesen den Hamburger Hafen erreichen können, dann wird der Jade-Weser-Port eine Investitionsruine“, betonte Janssen. Niedersachsen habe sich wohl „über den Tisch ziehen“ lassen, weil „eine Gegenleistung Hamburgs für die niedersächsische Einwilligung zur Elbvertiefung nicht erkennbar ist“, sagte. Janssen: „Das erhöhte Sturmflutrisiko, die weiteren Beeinträchtigungen von Landwirtschaft und Fischerei und die zunehmende Verschlickung von Hafenzufahrten gehen eindeutig zu Lasten Niedersachsens.“

Der NABU schimpfte, wenn die Politik weiter vor den Gelüsten der Container-Kapitäne einknicke, müsse die Elbe demnächst auf 22 Meter vertieft werden: „Dann müsste allerdings der Elbtunnel geschlossen und verfüllt werden.“