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Archiv-Artikel

Offensive für eine neue Geografie des Handels

Unter Führung von Argentinien und Brasilien läutet die Unctad-Konferenz eine neue Süd-Süd-Handelsrunde ein

SÃO PAULO taz ■ Martin Khor ist Realist. „Viele Entwicklungsländer müssen erst laufen lernen“, umreißt der Finanz- und Handelsexperte vom malaysischen Thinktank „Third World Network“ die Lage in den Verhandlungen im Rahmen der Welthandelsorganisation WTO.

Eine neue Chance dazu erhielten sie jetzt durch die Süd-Süd-Handelsrunde, die vorgestern Abend auf der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (Unctad) in Brasilien von 44 Entwicklungsländern eingeläutet wurde. Unter Vorsitz des argentinischen Finanzministers Roberto Lavagna beschlossen die Delegierten, das „System gegenseitiger Handelspräferenzen“ (GSTP) von 1989 wiederzubeleben. Entscheidend: Außen vor bleiben die Industriestaaten, die im Rahmen der WTO primär an der Verbesserung der Geschäftsbedingungen ihrer Konzerne und Banken in den Ländern des Südens interessiert sind.

Däie dritte GSTP-Runde, die bis November 2006 abgeschlossen sein soll, könne gerade für die ärmsten Länder zum wichtigsten Instrument für Handel und Entwicklung werden, sagte der scheidende Unctad-Generalsekretär Rubens Ricupero. Anders als bei der derzeit blockierten WTO-Doha-Runde gehe es vor allem um die Senkung von Importzöllen – den „Zugang zu Märkten im gegenseitigen Interesse“. Diese Aufwertung von Handelsfragen bedeute eine Chance, da den Entwicklungsländern keine Einschränkung der nationalen Souveränität drohe.

Dennoch hat das GSTP in der Praxis kaum funktioniert, da die Beschlüsse selten ratifiziert wurden. Der Handel zwischen Entwicklungsländern macht 12 Prozent des Welthandels aus, Tendenz: steigend. Vor allem hätten sich die politischen Rahmenbedingungen für die Stärkung des Süd-Süd-Handels verbessert, meint Khor: „Der neue Faktor ist die Führungsrolle Brasiliens und Argentiniens, die an den selbstbewussten Drittwelt-Diskurs der Siebzigerjahre anknüpfen.“

Celso Amorim bewertet die Süd-Süd-Handelsrunde als „Stärkung des Multilateralismus“. Der Süden sei auf dem besten Weg, die „Schüchternheit“ der Neunzigerjahre zu überwinden, meint der brasilianische Außenminister. Das GSTP könne die „neue Geografie des Handels“ stärken, beschwor er erneut die in den letzten Tagen immer wieder zitierte, von Präsident Lula geprägte Formel. Ebenso wichtig sei die Weiterentwicklung regionaler Handelsabkommen. Wie Lavagna und Ricupero will Amorim die Süd-Süd-Kooperation aber nicht als Alternative, sondern als „Ergänzung“ zu den Verhandlungen mit den Industrieländern verstanden wissen.

Während Indien beim GSTP mit von der Partie ist, kündigten die Vertreter Südafrikas und Chinas an, ihre Regierungen würden bald über den Beitritt entscheiden. Von den 49 LDCs (Least Developed Countries) sind erst sieben dabei. GERHARD DILGER