: Bin Laden war nicht überzeugt
Die Terroristen planten eigentlich zehn Flugzeuge in Bomben mit Besatzung zu verwandeln. Der eigentliche Organisator sitzt längst in US-Haft
VON BERND PICKERT
Mit harscher Kritik an der Arbeit der für die Luftraumüberwachung zuständigen Institutionen hat die unabhängige offizielle Untersuchungskommission (www.9-11commission.gov), die im Auftrag des US-Kongresses die Ereignisse des 11. Septembers 2001 erforschen soll, gestern mit einer letzten öffentlichen Anhörung ihre Ermittlungsarbeit abgeschlossen. Außerdem machte sie neue Angaben über die ursprünglichen Attentatspläne al-Qaidas.
Der Teil des Berichtes, der sich mit den Anschlägsplänen beschäftigt, basiert zu großen Teilen auf Aussagen von Chalid Scheich Mohammed, der in US-Untersuchungshaft verhört wurde. Die Kommission betont, lediglich schriftliches Material ausgewertet zu haben, das zum Teil inkohärent war. Die Möglichkeit, selbst mit Mohammed zu sprechen, hatten die Ermittler nicht.
Die vorliegenden Aussagen allerdings sind atemberaubend. Demnach sei ursprünglich geplant gewesen, nicht nur vier Passagiermaschinen zu entführen, sondern insgesamt zehn. Sie sollten neben den tatsächlich getroffenen Zielen auch die Hauptquartiere von CIA und FBI treffen, außerdem hohe Gebäude an der US-Westküste und nicht näher benannte Atomkraftwerke. Die zehnte Maschine wollte Mohammed selbst fliegen, alle männlichen Passagiere umbringen, noch aus der Luft Kontakt zu den Medien aufnehmen, die Maschine dann auf einem US-Flughafen landen und die verbliebenen Geiseln erst freilassen, wenn er ein ausführliches politisches Statement verlesen haben würde. Von dieser Idee, so fasst die Kommission die ihr überlassenen Vernehmungsprotokolle Mohammeds zusammen, sei Bin Laden allerdings nicht überzeugt gewesen.
Auch der Termin 11. September haben demnach erst kurze Zeit vorher festgestanden. Bin Laden habe mehrfach auf frühere Termine gedrängt, einmal auf den 12. Mai, genau sieben Monate nach dem Anschlag auf den US-Zerstörer „Cole“ im Jemen, einmal auf den Juni und Juli 2001 während verschiedener Staatsbesuche Ariel Scharons in Washington. Doch die logistischen Vorbereitungen und das Training der Teilnehmer seien nicht rechtzeitig abgeschlossen gewesen. Detailliert gibt der Kommissionsbericht wieder, wie schwierig sich die Detailvorbereitungen aus der Sicht der Planer des 11. September dargestellt hätten, und wie der Plan jeweils angepasst worden sei.
In der gestrigen letzten Anhörung wollte sich die Kommission mit dem Versagen der Luftüberwachung und des Militärs befassen. Der Washington Post zufolge, die sich darauf beruft, den entsprechenden Bericht aus der Kommission, der erst gestern Mittag (Ortszeit) vorgelegt werden sollte, bereits zu kennen, geht die Kommission davon aus, dass am 11. September keinerlei Luftabwehr stattfand, weil die zuständigen Instanzen völlig chaotisch agiert hätten. Das gesamte Netzwerk der Luftverteidigung sei überaltert, löchrig und auf einen derartigen Angriff nicht vorbereitet gewesen, heißt es im Bericht der Kommission. Zudem seien insgesamt zu wenige militärische Abfangjäger in Bereitschaft gewesen. Ein Befehl des Präsidenten, weitere gekidnappte Maschinen auf dem Weg zu etwaigen Terrorzielen abzuschießen, sei zu spät durchgekommen – warum aber, das sollte gestern noch einmal Gegenstand der Anhörung sein. So sagt die Norad, die militärische Luftraumüberwachung, der Befehl, verdächtige Maschinen abzuschießen, sei erst bei ihnen angekommen, nachdem die letzte der vier Maschinen in Pennsylvania abgestürzt war.
Aufgrund der Umstände des Absturzes in Pennsylvania – meilenweit verstreute Wrackteile, keine sichtbaren großen Maschinenteile an der Absturzstelle und eine mäßig glaubhafte Geschichte von heldenhaft kämpfenden Passagieren – halten sich weit verbreitete Zweifel daran, ob die Maschine nicht doch abgeschossen worden sein könnte. Immerhin differieren die Angaben zwischen Norad und dem Weißen Haus über den Zeitpunkt, wann der Befehl gegeben wurde.
Die zehnköpfige Kommission, die erst über ein Jahr nach den Anschlägen auf Drängen von Familienangehörigen der Opfer des 11. September eingerichtet wurde, hatte den Auftrag, herauszufinden, ob die Anschläge des 11. September zu verhindern gewesen wären. Sie sollte die Struktur des Angriffs sowie die bei verschiedenen US-Geheimdiensten vorhandenen Informationen zusammentragen und herausfinden, warum diese zu keinerlei Konsequenzen im Vorfeld des 11. September geführt haben. Schließlich sollte die Kommission Empfehlungen herausgeben, wie zukünftig auf solche Bedrohungen zu reagieren sei.
Ob die Kommission es aber schafft, noch im Juli einen gemeinsamen Abschlussbericht vorzulegen wie eigentlich geplant, erscheint unsicher. Die Bewertungen der Kommissionsmitglieder zu einzelnen Themen divergieren stark, und viele Fragen hat die Kommission bisher selbst nicht abschließend klären können – wenn sie sie denn überhaupt gestellt hat. Zweifler an den Abläufen des 11. September werfen der Kommission vor, wichtige Fragen wie etwa die nach den Kontakten der Bush-Familie zum Bin-Laden-Clan und nach Saudi-Arabien und eben auch nach dem Versagen selbst der Routineabläufe der Luftabwehr am 11. September gar nicht erst auf die Tagesordnung gebracht zu haben.
Für die Gruppe „9/11 Citizen Watch“ etwa (www.911citizenwatch.org), an der ebenfalls einige Familienangehörige von Opfern beteiligt sind, hat die Kommission ihren Arbeitsauftrag noch längst nicht erfüllt, weil sie wichtige Fragen ausgeklammert habe.